(mjeu/majo)• Zürich/Basel/Freiburg. Die Züricher »Weltwoche« ist scheinbar in etwa der Schweizer »Spiegel«. Nur lustiger.

Zum Fürchten oder zum Anbeißen? Kriegsgegner oder Kuschelnachbarn? Schweizer Schokoladendrache (in Basel)
Lustiger nicht im Sinne von weniger ernsthaft, sondern positiv formuliert: besonders stilsicher und mit einem größeren Willen zur Polemik, wo nötig.
Die Ausgabe, die ich mir letzte Woche nach Längerem mal wieder gekauft habe, weil ich die „Weltwoche“ noch aus meiner Studienzeit in Basel (ähem) kenne, macht mit einem investigativen Report auf: Die Schweizer Bundespolizei unterhalte eine geheime Elite-Kampftruppe namens »Tigris«. Das klingt nicht besonders aufregend, wenn man an die deutsche GSG9 denkt, aber in der Eidgenossenschaft darf man sich scheinbar streiten, ob so eine Abteilung verfassungsgemäß ist. Richtig geheim ist die Truppe dann wiederum auch nicht. Jedenfalls nicht so geheim, dass der Journalist (Daniel Amman) nicht Auskunft von der Bundespolizei über Tigris erhalten hätte. Nur gerade so geheim, dass es eben keiner an die große Glocke gehängt hat.
Konsequenterweise ist dann auch das Titelbild eine Computergrafik; ein Foto von Tigris-Beamten im Einsatz hatte man ja nicht.
Es stand ganz schön viel Schweizer Politik im »Schweizer Spiegel« letzte Woche. Das fällt mir bloß auf, weil mir sonst immer das Gegenteil auffällt. Eine, zwei Seiten Inneres. Der Rest: Deutschland und die Welt. »Was mich an der Schweiz fasziniert, ist, wie postpolitisch sie ist.« Das sagt der slowenische Philosoph Slavoj Žižek — in der allerersten »Weltwoche«, die ich mir gekauft habe, vom 10. November 2005. Diese meine erste Weltwoche habe ich mir gekauft, weil vorn drauf stand: »Seite 65: Ein Philosoph erzählt zwei Witze«.
Was meint der Philosoph mit postpolitisch? »Wer weiß etwas über die Schweiz? Wer ist euer Bundespräsident? Wer ist der Außenminister? Auch meine deutschen Freunde wissen es nicht.« Naja, zur Verteidigung der Schweiz muss man aber auch sagen, wer soll sich das denn jedes Jahr neu merken.

Mal langsam: Wer hat noch gleich »Wilhelm Tell« geschrieben?
Zumindest in der Weltwoche ist es mit dem Postpolitizismus zunächst mal vorbei. Die eigenen Politiker werden in Kommentaren und Polemiken gedisst, weil sie zu viele Lobbyisten ins Parlament einladen oder weil sie zu freundlich zu den Deutschen sind. Spannend ist, die Schweizer Sicht auf den verbalen Ausfluss des BRD-Finanzministers Peer Steinbrück zu lesen. Aber Max Frenkel geht in seinem Kommentar so weit, einen laufenden Wirtschaftskrieg zwischen Eidgenossenschaft und Bundesrepublik zu konstatieren. Er nennt es auch Soft War. Also Krieg, ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Wenn das jetzt ist, was vom Kriege übrig blieb – dann lasst uns alle nochmals ganz herzlich und mit Applaus das 21. Jahrhundert in unserer Mitte begrüßen.
• Die »Weltwoche« gibt es im Übrigen schon viel länger als den »Spiegel«. Sie möchte auf www.weltwoche.ch/historisch ihre erste Ausgabe vom 17. November 1933 als PDF zum Herunterladen anbieten. Weitere öffentlich zugängliche Ansichtsexemplare stammen aus den Jahren 39, 45 und 68. – Das nenne ich Zeitungszeugen aus erster Hand.
•• PS: Slavoj Žižeks erster Witz handelt von Slowenen, aber in Deutschland funktioniert er besser mit Schwaben: Ein alter Schwabe bittet, auf dem Sterbebett liegend, seine ganze Familie zu sich. »Sind alle da?«, fragt er, »meine Töchter, meine Söhne, meine Frau, meine Enkel?« – »Ja!«, sagen alle, »es fehlt keiner.« Der Bauer fragt: »Warum brennt dann im Flur noch Licht?«
••• Der andere Witz ist erstens nicht jugendfrei und er funktioniert auch mit keinem deutschen Volksstamm, den ich kenne.
Update: Die PDF-Versionen der historischen Weltwoche-Ausgaben können nur online durchgesehen werden, aber sind nicht herunterladbar.
LikeLike
Pingback: Europa-Misstrauen, intellektuellig | martinJost.eu