Die badenova geht groß einkaufen und die Wirtschaftskrise müsste eigentlich bald vorbei sein
Freiburg. (mjeu/majo)••• Die Stadt will eine Gesellschaft kaufen, die ihr was kaufen soll, das ihr schon gehört. Nee, Quatsch. Nochmal. Die badenova, die der Stadt gehört, soll ein Stück von einer Firma kaufen, die ihr was kaufen soll, dem schon ein Stück badenova gehört. Nee, nochmal. Also Töchterchen badenova kriegt Taschengeld von der Stadt um mit Geld von anderen… ach, ich fang’ anders an:
Ich finde, Anna ist ein besonders schöner Name. Ich mag A’s in Namen. Vielleicht mag ich Anna, weil ich früher gern ein Buch las, das hieß »Anna Conda« und handelte von einer Riesenschlange. Das Buch war ein sehr langes Leporello und die Schlange reichte über die gesamte Länge des Buches, inklusive der Rückseite. Man konnte in ihrem Bauch sehen, was sie schon alles gefressen hatte, unter anderem einen ansonsten sehr gesunden Elefanten. Wenn man ans Ende des ausgefalteten Buches gelangte und es umdrehte, konnte man sehen, wie Anna Condas Hunger so groß war, dass sie anfing sich selbst vom Schwanz her aufzufressen. Mit allem, was sie schon im Bauch hatte.
Worum geht es? Also es gibt da eine Holding namens Thüga. Das stand mal für »Thüringen-Gas«. Die Thüga sitzt in München, allerdings dem München in Bayern (nicht dem in Thüringen) und ihr gehören Aktienstückchen von etwa 110 Energieversorgungsunternehmen, darunter von der badenova. Die Thüga selbst gehört zur Zeit e.on. Und e.on überlegt, die Thüga zu verkaufen. Warum? Weil die Kartellbehörde findet, e.on sei zu groß. Die Stadt Freiburg überlegt, dass der regionale Energieversorger badenova, der zu großen Teilen der Stadt Freiburg gehört, sich ein Stück Thüga kaufen sollte. Darum schlägt der Oberbürgermeister am Dienstag (31. März) dem Gemeinderat vor, grundsätzlich dafür zu stimmen, dass der Gemeinderat die Stadt beauftragen soll, der badenova zu sagen, sie soll mit der Kom9 um die Thüga bieten.

Thüringen, das grüne Herz Deutschlands und Ursprung der Thüga. (Hier: Straußenfarm bei Tröbsdorf.)
Welcher Schlingel hat sich denn da jetzt reingeschummelt? Kom9? Kom9 ist eine Bietergemeinschaft aus Kommunen, die zusammenlegen wollen um sich die Thüga zu kaufen. Für die badenova wäre es eine Art Familienzusammenführung, weil sie sich mit Thüga-Anteilen Aktien derjenigen Holding kaufen würde, der Teile von ihr gehören.
Der Thüga-Code
Kurze Pause für ein paar Zahlen: Die Stadt Freiburg hat unter allen Kommunen, die an der badenova beteiligt sind, mit 33 Prozent den größten Anteil. Noch mehr Anteile, nämlich 47 Prozent, hat aber die Thüga an der badenova. Das ist so, weil der Thüga bereits Anteile an den sechs regionalen Stadtwerken gehörten, die 13 verschiedenen Gemeinden gehörten, als sie sich 2001 zur badenova zusammenschlossen. 13 Kolonien gründeten auch die Vereinigten Staaten von Amerika, ein vergleichsweise erfolgreiches Modell. Ob Hawaii sich perspektivisch als 50. Anteilseigner an der badenova beteiligen will, ließ das Bürgermeisteramt bislang nicht verlauten. Wofür aber steht die 9 in »Kom9«, wenn die Kom9 tatsächlich von sechs Unternehmen gebildet wurde und bald aus 39 bestehen könnte? Keine Ahnung, aber wenn man die 198 Quadratfetzen der badenova-Flagge durch 9 teilt, erhält man 22. Als ich 22 war, kam ich ins 9. Semester. Zufall?

Dreizehn rote und weiße Streifen in der US-amerikanischen Flagge symbolisieren die 13 Gründungskolonien. 13 Städte sind an der badenova beteiligt. Zufall? Wenn man immer die Bildunterschriften liest, schweift man leicht ab. • Quelle: StarOffice® 8 Clipart Gallery
Knutschen oder Kannibalismus?
Jetzt wird es kurz mal kompliziert: Die Kom9 GbR wird mit Freiburg als Chefin zur Kom9 KG werden und eine Gruppe dreier weiterer Städte gebären, die sich »Integra« nennt und als zweite Bietergemeinschaft mit der Bietergemeinschaft Kom9 ein Bietergemeinschaftskonsortium bildet, das dann für Thüga-Aktien bietet. Physiker sprechen bei Strukturen, die auf jeder Vergrößerungsebene neue Strukturen zeigen, von Fraktalen. Die Erde ist Teil eines Sonnensystems, Sonnensysteme arrangieren sich in Sternenhaufen oder Wolken, Sternensysteme bilden Galaxien, Galaxien bilden lokale Gruppen, Gruppen bilden Galaxienhaufen bilden Superhaufen, Kom9, Integra, Konsortium, Universum. Kom9 und Integra wollen zusammen eine Aktienmehrheit an der Thüga kaufen, Kom9 unter der Geschäftsführung der badenova allein 20 Prozent oder mehr. Das Bieterverfahren wird voraussichtlich im Juni/Juli stattfinden.
Und was bringt das?
Was erhofft Freiburg sich vom Erwerb von Thüga-Anteilen? In einer sage und schreibe sieben Seiten langen Pressemitteilung (so lang waren die zuletzt in der Diskussion über den Stadtbau-Verkauf) von Mitte März lässt Oberbürgermeister Dieter Salomon ausmalen, dass die Thüga mit ihren Minderheitsbeteiligungen an regionalen Energieversorgern dafür garantiert, dass die Struktur der traditionellen kleinen Versorger vor Ort in Deutschland erhalten bleibe, zumal wenn diese regionalen Energieversorger selbst die Thüga unterhalten. Trotzdem würde die Thüga nach den Riesen e.on, RWE, En-BW und Vattenfall, die ansonsten den deutschen Energiemarkt unter sich aufteilen, der fünftgrößte Energieversorgerverbund in Deutschland werden. (Wahrscheinlich mit sehr viel Abstand.) Nur eben mit vielen kleinen Versorgungsfirmen als Eigentümer. Die Thüga ist aber nicht nur eine leere Hülle mit den Qualitäten eines Aktiendepots, sondern, so die Pressemitteilung der Stadt, sie helfe auch beim Aushandeln von Großmarktpreisen zum Beispiel für Gas, die die kleinen Versorger allein nie erreichen würden. Außerdem berät sie ihre Beteiligungen bei Rechtsfragen. Die Vorteile einer Thüga in kommunaler Hand, die das Bürgermeisteramt aufzählt, lassen sich unter dem sehr grünen Wort »Synergien« subsumieren.

Viel Spaß beim Lesen: Die Stadt versucht kurz zu erklären, worum es geht (Sieben Seiten, einfacher Zeilenabstand)
Was ist böser: Schulden oder Heuschrecken?
Ganz wichtig wird aber für die Freiburger, die zu einem großen Teil gegen Heupferdle allergisch sind, das Argument sein, dass die badenova mit einer Thüga in regionalen Händen zum ersten Mal nicht mit e.on als einem der vier gigantischen Energiekonzerne verflochten wäre. Kurz: Verzahnungen und Verflechtungen an sich sind nicht schlecht, Verflechtungen mit Atomstromern und internationalen Konzernen, die vielleicht die Thüga kaufen könnten, wenn Kom9 und Integra nicht zuschlagen, und dann bei der badenova einen Fuß in der Tür hätten, sind aber doch schlecht. Ihr Engagement bei der Rettung des Kommunale-Versorger-Modells will sich die badenova maximal 100 Millionen € kosten lassen um allein 2 bis 4 Prozent der Thüga zu besitzen. Für das Konstrukt, in dem die badenova Teile der Thüga besitzt, die gleichzeitig Teile der badenova besitzt, gibt es sogar einen Fachbegriff: Schachtelbeteiligung.
Alles wird gut
Thüga-Kauf: Ich habe vergessen, ob ich dagegen oder dafür bin. Das könnte ich leichter entscheiden, wenn ich ein Stück weniger wüsste, worum es geht. Ich bin nun aber optimistischer gestimmt, was die Finanzkrise betrifft: Wenn man bedenkt, dass auf der Welt wirtschaftliche Strukturen von derartiger Komplexität in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gewachsen sind und man sie für den Bankensektor vielleicht noch mit dem Tausendfachen an Entropie multipliziert, würde es mich nicht wundern, wenn die darbenden Unternehmen demnächst merkten, dass sie zwar große Finanzlöcher haben, aber sich hintenrum durchs Knie das ganze Geld selber schulden und sich auch ihre Schulden selbst erlassen können. Alles auf Anfang. Wenn Anna Conda merkt, dass sie sich in den eigenen Schwanz gebissen hat, wird sie zwar immer noch Hunger haben, aber zumindest löst sie sich nicht auf.
• Du bist Junges Freiburg! Das Blog – Wieder nächsten Mittwoch.
•• Dieser Artikel erschien vorab auf orangenfalter.wordpress.com.
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