Frage

Mein fucking Urheberrecht

Berliner Z

Berliner Zeitung vom 31. März 2009

Von Martin Jost

Shakespeare ist unschlagbar. Dieser Allgemeinplatz geht mir leicht über die Lippen. Jeder weiß, dass er nicht nur unerschöpflich war im Erfinden von Geschichten, sondern auch der raffinierteste denkbare Erzähler. Nicht so bekannt ist, was William Shakespeare erst wirklich zum schöpferischen Genie macht: Er hat eigenhändig 2.035 Worte erfunden. 2.035 Worte, um die das Englische dank seiner reicher wurde.

Gedruckte Texte von Martin Jost

Gedrucktes

Dieser Artikel erschien am 31. März 2009 in der «Berliner Zeitung». Online unter berliner-zeitung.de.


Das muss man sich mal reinziehen. Da erfindet einer einfach neue Worte (dass das erlaubt ist!) und gar nicht mal so abseitige. Wie waren die Engländer bloß über die Runden gekommen ohne lonely oder excellent? Was wäre Englisch-Unterricht in Klasse Fünf ohne das Verwechseln von upstairs und downstairs? Hat alle Shakespeare erfunden.

Das nenne ich ein Denkmal hinterlassen. Keines zum Anfassen, aber umso sichtbarer. Und demokratischer als ein Marmor-Macker auf dem Marktplatz. Sprache ist bestimmt das Demokratischste, was es gibt. Sie gehört jedem, und jeder darf sie nicht nur benutzen, sondern auch formen. Sprache ist damit das älteste Open-Source-Projekt der Geschichte. Fehlen Ihnen die Worte? – Erfinden Sie sie halt. Ich würde meine Sprache selbst gern bereichern und mich in aller Deutschen Köpfe verunsterblichen.

Moment mal, das hätte ich ja schon geschafft, wenn mir nur die gerechte Anerkennung zuteil würde. Vielleicht haben Sie meine Schöpfung schon benutzt? Sie heißt „verfickt“ und ist ein Attribut. Ganz ehrlich, ich habe es erdacht und benutzt, als es sonst noch keiner kannte. Das war im Jahr 2000, ich ging noch zur Schule. Ich würzte emphatische Äußerungen gern mit dem englischen fucking. Etwa so: „Wir kriegen immer zu viele fucking Hausaufgaben.“ Aber als der sensible Leitkultur-Endanwender, der ich bin, verzehrte ich mich nach einer restlosen fucking-Integration.

„Abgefuckt“ taugte nichts, das entsprach bereits fucked-up und ist noch viel zu englisch, um sich widerstandslos beugen zu lassen. „Fickende Hausaufgaben“ wäre zwar eine wörtliche Übersetzung gewesen, hätte aber durch aufdringliche Bildhaftigkeit abgelenkt. „Verfickt“ traf den Nagel auf den Daumen. Kurz nach seiner Erschaffung hatte das Wort den leckeren Nebeneffekt, dass es sich böse anfühlte. Ich traute mir was, ließ mit bloß einem Wort Blutdrücke steigen und Sensibelchen stottern. Das war ein süßes Gefühl, das mir mit viereinhalb Jahren abhanden gekommen war, als „Arschloch“ sich abnutzte.

Mein Meisterstück fand Anklang. Freunde griffen das neue Wort dankbar auf, es wurde ein gängiger Fluch. Und wie es gereist ist! Nach der Schule zog ich fort, aber mein Wort war schon da. Co-Studenten aus aller Herren Bundesländer sagten auch „verfickt“. Das deutsche Wort für fucking war erfolgreich binnenmigriert. Von der Warte des Sprachwissenschaftlers aus ist das weder aufregend noch erstaunlich, aber mein Stolz lässt sich wohl verstehen. Wie verständlich ist da erst mein Schrecken ob der Behauptung von Freunden (damals noch), sie hätten es zuerst benutzt. In Hessen! Zwar wusste ich es besser und mir wurde nicht gerade ein Kind aus den kosenden Armen gerissen oder so, sondern bloß ein Wort. Aber tat es weh? Ja, verfickt. Seither kann ich eine Episode verstehen, die ich in der 2. Klasse erlebte: Zwei Mitschüler stritten auf dem Pausenhof, wer von ihnen zuerst seine Feinde als „Steckdosenbefruchter“ beleidigt habe. Der eine sagte, er hätte es erfunden; der andere blieb auf dem Standpunkt, an seiner alten Schule haben sie es schon lange vorher in Gebrauch gehabt. In mir gärte seither die Verwunderung darüber, wie man sich um so einen Schmonz kloppen konnte. Ich mache einen Bogen um Worte, die sich mir bildlich nicht erschließen. Heute begreife ich den Schmerz der beiden Streithähne.

Mir liegt deshalb am Herzen, an dieser Stelle festzuhalten: Ich habe „verfickt“ erfunden. Meine Entstehungslegende ist plausibel und wasserdicht. Und ich beharre darauf, solange mir niemand beweisen kann, dass er es woanders zuvor benutzt hat. Wenn mir mögliche Indizien an verfickt@martinjost.eu zugehen, werde ich sie ohne Vorbehalte, aber nach strengen Maßstäben bewerten. Ich verlange ja nichts. Ich will kein Patent und keine Gebühr. Ich bin fest überzeugt, dass Sprache allen gehört. Ich will nur, dass alle ein kleines bisschen an mich denken, wenn sie mal „verfickt“ sagen.


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