Martin muss im Wahlkampf auf Podis. Eigentlich würde er lieber nicht.
Freiburg. (mjeu/majo) Wahlkampf mag ich nicht, weil ihn ganz viele komische und unangenehme Veranstaltungen kennzeichnen, die echter politischer Arbeit nicht ähneln. Meine persönlichen Nemesisse (da fällt mir ein, dass ich den korrekten Plural von Nemesis nicht weiß und ich verlege mich auch zugunsten des Verständnis auf den Begriff:) meine persönlichen Assi-Veranstaltungen heißen Infostand und Podiumsdiskussion. Infostände fänd ich im Winter nicht so schlimm wie im Sommer und die Nachtschicht bei unserem 24-Stunden-Stand fand ich auch nicht so schlimm. Ich bin aber kein Freund von Sonnenstich und Flyerverteilen. Der nervigste Job meines Lebens hieß Flyerverteiler und das hat mich geprägt.
Macht Kultur assi?
Podiumsdiskussionen mag ich, wie gesagt auch nicht. Aber es wäre nicht fair gewesen, wenn ich nicht wenigstens eine Handvoll besucht hätte. Die anderen Kandidaten tun sich das ja auch an. Der Reigen beginnt für mich mit einer Diskussion, die der Verein »Kultur macht reich« im SWR veranstaltet. Damit das klar ist: Wir dürfen nicht auf’s Podium. Es darf bloß jede im Gemeinderat vertretene Fraktion einen Vertreter schicken und die Grünen nehmen sich das Vorrecht in Anspruch, weil sie größer und älter sind. Anders, als Gesetze über Parteienfinanzierung das erlauben, werden auf Podiumsdiskussionen in der Regel solche Listen klar bevorzugt, die schon Mandate im Parlament besitzen. Junges Freiburg protestiert zunächst höflich gegen die Geschäftsordnung, denn es ist abzusehen, dass niemand auf dem Podium über Jugendkultur sprechen wird oder junge Kultur; niemand wird Graffitis und Hip Hop als Kunst ansehen, niemand wird sich für den Ankauf von Werken gerade junger Künstler durch die städtischen Museen einsetzen. Und niemand wird unterstreichen, wie wichtig ein Jugendzentrum unterm Jugenddenkmal wäre, wenn es ein anständiges Konzept hätte.
»Kultur macht reich« lehnt zunächst sachlich, später zackiger ab. Einer der Was-zu-sagen-Haber des Vereins blickt’s nicht, aber klickt – und zwar auf »Allen Antworten«. Seine abfällige Bemerkung, dass es ja wohl Folter sei, mit Junges-Freiburg-Stadtrat Sebastian Müller im Diskurs zu stehen, geht nicht nur intern in seinem Verein rum, sondern landet auch auf unserem Verteiler. Sebastian nennt er einen „neoliberalen Berufsnachwuchspolitiker“. – Berufskulturschaffende sind nicht so für miteinander reden.
Jugend, Macht, Kultur
Zähneknirschend gehen Max und ich zu der Podi. Wir sitzen im Publikum. Pia Federer, die die Fraktionsgemeinschaft Junges Freiburg/Die Grünen auf der Bühne vertritt, verweist immerhin auf die Geschäftsordnungs-Debatte im Vorfeld, als die Kandidaten von der Moderatorin gefragt werden: „Wo sind eigentlich Ihre jungen Kultur-Politiker“. Sie erhält zur Antwort, die Unabhängigen Listen hätten ja auch eine Lösung gefunden – das heißt, Irene Vogel, Atai Keller und Hendrijk Guzzoni wechseln sich nach jeweils zwei Fragen vorne auf dem Podium ab.
In der Diskussion geht es auf die anstrengendste Weise um Geld und dass man im Kulturbereich nichts mehr kürzen kann und dass Soziales aber auch wichtig ist und was man nicht schon alles erreicht hat und so weiter. Wenn alle Positionen klar sind und nebeneinander stehen, werden die Totschlagargumente raus geholt: Worüber sprechen wir eigentlich? Das muss man doch mal dafinieren! Wir verbitten uns eine Vermischung von »Kultur« mit »Kunst« mit »Kultureller Bildung«. Also werden drei Viertel des bis dato Gesagten einfach mal entwertet. Der Plan der diskutierenden Politiker, sich selbst darzustellen, geht in die Hose, weil die Moderatorin sehr enge Fragen stellt und kein Gelaber zulässt. Alle faseln vor sich hin, manche mit weniger Floskeln als andere. Was mir bei den Kulturpolitikern fehlt, weil ich es nicht spüre, ist eine Liebe zu Kunst. Irgendwie unterstelle ich an diesem Abend allen, dass ihnen die Faszination für ein Kunststück völlig abgeht. Dass sie kein Buch lesen und kein Theaterstück genießen können ohne an Wirtschaftsfaktor und städtische Zuschüsse zu denken. Dass sie Kunst schon lange nicht mehr hat entgleisen lassen oder sich bestürzt fühlen.
Dann darf das Publikum Fragen stellen. Ich entschließe mich zur Polemik. Zunächst mal muss ich gegen Irene Vogel und Hans Lienhart zurückhetzen. Frau Vogel von den Befreiten Frauen hat vorher gesagt, Gemeinderat und Ausschüsse seien langweilig und bei weitem nicht die richtige Beteiligungsform für Jugendliche. Die hätten mehr Spaß in ihren eigenen Formen. Zum Beispiel Jugendbeteiligung. – Ja klar, als ob es eine Beteiligung von Unter-18-Jährigen am Beteiligungshaushalt gegeben hätte oder ein vernünftiges neues Jugendbeteiligungskonzept ohne die Impulse von einem Junges-Freiburg-Stadtrat. – Hans Lienhart sagt, Gemeinderat, das schaffe er erst, seit er im Ruhestand ist. Vorher habe man gar nicht die Zeit dazu. Ich bezeichne beide als undemokratisch. „Wir haben passives Wahlrecht mit 18“, sage ich, „so ist die Welt.“ Dann kann ich endlich zur Kultur kommen.
„Faschist.“ – „Nee, aber’n Chauvi!“
Ich benutze »Krawattenkultur« als Schlagwort um den Samstagabend-Mainstream, von dem bis dahin gesprochen wurde, von Lebenskunst abzugrenzen und von Jugendlichen, die sich mit Kunst unmittelbar ausdrücken wollen. Ein Mann regt sich auf und blubbert mit fingerstarken Halsvenen, wolle ich etwa Graffiti als Kunst bezeichnen? Theater-Intendantin Barbara Mundel putzt mich runter, weil ich kulturelle Bildung mit Kultur vermischt hätte. Und ein selbst ernannter Achtundsechziger verbietet mir das Wort »Hemmschwelle« zu benutzen, wenn ich darüber mutmaße, warum Jugendliche aus bestimmten Schichten keinen Zugang zum Theater finden. Ich sei ja bestimmt selbst noch nie in einem Theater gewesen, ruft er mir zu (auf meinem T-Shirt steht ein Zitat aus »Faust«), und Jugendliche, die Literatur und Theater nicht blicken, seien selbst schuld. Heutzutage habe man jawohl alle Chancen. Mir rutscht hörbar raus: „Faschist“ und Irene Vogel, ein paar Reihen vor mir, jetzt wieder auf unserer Seite, relativiert: „Naja, das nicht gleich. Aber’n Chauvi!“
Ich gehe mit so nem Hals aus dem SWR und nehme mir vor: Nie wieder Podi.
Die nächste Podi, die ich erleben muss, ist gar nicht so schlimm. Es geht nicht um Kommunalpolitik, sondern Junges Freiburg veranstaltet ganz uneigennützig mitten im Wahlkampf zusammen mit den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) eine Podiumsdiskussion zur Europawahl. Das macht Spaß. Ich bin für die Vorwahlen zur Europawahl mit zuständig: Wir assen die Besucher des rammelvollen Jazzhaus vor der Diskussion und danach über die Kandidaten abstimmen und zeigen dann, wie sich ihre Zustimmung über das Streitgespräch verändert hat.
Der Bürgerverein tagt
Wie sich heraus stellt, stehe ich aber für noch eine Podiumsdiskussion im Terminplan. Thomas erinnert mich daran und überredet mich, nochmal mitzugehen. Der Bürgerverein Oberwiehre-Waldsee will die Politiker auf Herz und Nieren testen. Das Publikum besteht aber nur aus Bürgervereinlern und Kandidaten von Gemeinderatswahllisten. Es sind zum Höhepunkt des Abends fast 30 Leute im Raum. Die Kommunalwahl lockt die Leute nicht vor die Türen. Wie ich gehört habe, sind auf allen Podis die Politiker weitestgehend unter sich.
Ich habe kein Problem mit Bürgervereinen. Mir fällt nur auf, dass sie oft einseitig von älteren Bürgern dominiert sind, die sich in die Zeit zurücksehnen, als ihr Stadtteil noch ein abgelegenes Kuhdorf und nicht eingemeindet war. Sie wollen vor allem ihre Ruhe politisch durchsetzen. Oberirdisch nur noch Pferdekutschen!, ist so ein bisschen der Tenor im Gemeindesaal der Maria-Hilf-Kirche, und die Sternwaldwiese für immer sperren. Ich wohne neben dem Augustinerplatz, aber ich muss sagen: Niemand der hier her gezogen ist, würde ernsthaft fordern, Plätze, auf denen abends gelebt wird, einfach zu schließen. Warum freut sich der Waldsee eigentlich nicht über diese belebte Fläche? Als würde die Sternwaldwiese nur von asozialen Kindern und außerirdischen Hottentotten bevölkert, spricht man im Bürgerverein darüber. Dafür, dass es sich um Menschen handelt, die dort grillen und Geburtstage feiern, fehlt scheinbar jedes Verständnis. Sie sind der Feind. Zombies. „Wenn man da hin geht“, heißt es in vollem Ernst, „und bittet die Jugendlichen, sie mögen leiser sein, kriegt man ganz leicht Schläge ins Gesicht.“
Die Konsequenz des Bürgervereins-Vorsitzenden: Er bittet seine Bürger, öfter als – wie bisher – viermal im Jahr bei der Polizei anzurufen, wenn sie sich gestört fühlten. Allein der Dokumentierung von Lärm- und Gestanksbelästigung wegen.
Mein Blutdruck ist ganz hoch, als ich aus dem Saal fliehe.
Schön, dass wir drüber geredet haben
Am Sonntag lud dann die CDU zu einer Podiumsdiskussion über Kultur ins Jazzhaus ein. Fudder berichtete. Zwischendurch war das Publikum fast mal groß, aber die Hälfte der zahlreichen Stühle blieb trotzdem noch leer. Für den Wahlkampf 2009 ist ganz typisch, dass kein Schwein zu Diskussionen geht. Ich frage mich, ob es am Sommerwetter liegt oder an angeblichen Kommunalpolitikverdrossenheit (die von JEF und Junges Freiburg veranstaltete EU-Podi war wie gesagt rasend voll, trotz Grillwetter und SC-Spiel), oder ob nicht nur ich fühle, dass Podiumsdiskussionen eine ungeeignete Form sind, Politiker aus der Reserve zu locken und zu konkreten Sprüchen zu zwingen. Demnach wären Podis so etwas wie Vorlesungen an der Uni: Die Königsdisziplin des Handwerks, zu der aber kein erfahrener Nutzer hingeht.
Wie auch immer, das Publikum machte das Jazzhaus nur halb voll, aber bestand zu 80 Prozent aus Kandidaten von allen möglichen Listen. Nach und nach erkannten Veranstalter und Moderator die Gesichter von immer mehr Kommunalwahl-Kandidaten und begrüßten sie persönlich. Von Befreiten Frauen und SPD ist irgendwie niemand gekommen.
Was die Diskussion hätte vertragen können, wäre eine Leitfrage gewesen. Oder überhaupt mal eine Frage. Die Disputanden durften sich in zwei Runden im freien Stil zu ihren Ansichten äußern – keine Zeitbegrenzung, keine Themensetzung. Insofern wurde der Abend zu einer Konsensveranstaltung: Die Kulturpolitiker versichern sich gegenseitig ihrer Liebe zur Kultur. Die Frage Kulturstadt wird kurz angerissen, jeder sagt sachlich seine Meinung dazu. Die Mehrheit hält das Prädikat Kulturstadt für eine Struktur- und PR-Maßnahme für Underdogs – nichts für fertige Kulturstädte. Ich sage: „Freiburg hat die Auszeichnung als Kulturstadt nötig – so sehr wie einen Kropf.“ Das zweite kontroverse Thema sind Bildungsgutscheine, aber das bekommt kaum jemand mit. Ich erwähne, dass die Gutscheine eine Idee von Junges Freiburg waren. Coinneach von der G.A.F. ruft rein, seine Partei hätte die Idee zuerst gehabt. Während Sebastian aus der ersten Reihe und Coinneach sich streiten, behalte ich das Mikrofon und erkläre in aller Ruhe, was Bildungsgutscheine sind: Coupons von der Stadt für Kinder und Jugendliche, die in kulturelle Bildung einlösbar sind (zum Beispiel Musikschule oder Volkshochschul-Kurse), damit es nicht ausgerechnet am Geld hängt, wenn ein Kind beispielsweise tanzen lernen will oder malen, aber die Familie es sich nicht leisten kann.
David und Sebastian unterstützen mich aus der ersten Reihe nicht nur moralisch; Sebastian tut auch sein Bestes, um meinen Gegner links neben mir zu verwirren. Ganz selbstverständlich nimmt er ihm sein Namensschild weg und schreibt darauf in aller Ruhe unter die Abkürzung G.A.F.: »Grüne Armee Fraktion«.
Ich komme aber gut weg, finde ich. Streit bricht nicht aus und das Publikum ist nicht so für Sprüche gut, das habe ich gleich gesehen. Ich kann in aller Ruhe vom Junges-Freiburg-Wahlprogramm über Kultur erzählen und am Ende habe ich scheinbar eine gute Figur gemacht: Ein Vertreter der CDU bittet mich, doch seiner Partei beizutreten. Seither bin ich hin- und her gerissen. Einerseits fühle ich mich geschmeichelt, dass eine von den richtigen Parteien mich benutzen will. Andererseits frage ich mich, was ich falsch gemacht habe, damit ausgerechnet die CDU auf mich aufmerksam wurde. Bin ich zu konservativ aufgetreten? Trotz der langen Haare und allem?
Schluss, aus, Feierabend
Meine dritte Podi hat mein Blutdruck wesentlich besser verknuspert als die anderen. Ich nehme an, es lag daran, dass ich vorne saß und regelmäßig das Wort hatte. Im Publikum zu sitzen und meine Wut über dumme Aussagen aufzustauen, das liegt mir nicht.
Der Wahlkampf ist fast rum und ich bin froh. Ich gehe auch auf keine Podi mehr, habe ich mir vorgenommen – jedenfalls nicht, wenn ich nicht auf der Bühne sitze.
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