Martin kuckt Antichrist
Spoiler Alert: Diese Kritik verrät das Ende.
Freiburg. (mjeu/majo) Was Der weiße Hai für das Baden im Meer und Psycho für das Duschen bewirkt hat, das schafft Lars von Triers Antichrist für die Frau. Und für den schönen deutschen Wald.
Die fischige Ära des Feminismus muss vorbei sein, wenn ein Mann, der sich selbst mit klinischen Depressionen noch »bester Regisseur der Welt« nennen kann, einen phallischen Horrorfilm macht, dessen These lautet: Frauen sind das Böse. Weinende Frauen sind falsch. Die Hexenverbrennung war vergleichsweise inkonsequent.
Am Ende verliert die Frau (Charlotte Gainsbourg). Vorher schneidet sie sich selbst noch die Klitoris ab und zwar mit einer Papierschere.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Film (es ist doch bloß ein Film!) nochmal so erschrecken könnte. In meinem Alter. Ich war noch nie auf diese Weise erleichtert, dass ich es bis zum Abspann geschafft habe. Irgendwann in Kapitel 3 (von 4) wurde mir bedrückend klar, dass ich den Bildern nicht entkommen kann; dass mein Unbehagen nur zunehmen würde und ich nicht einfach raus gehen kann.*
Als einzigartig werde ich mich daran erinnern: Mich im Kino umzuschauen und Dutzende Leute unter Jacken verkrochen zu sehen; das »Puh, wir haben’s zusammen durchgestanden«-Grinsen der Zuschauer, mit denen ich nach dem Abspann zur Tür lief.
Antichrist ist in dem Sinne ein billiger Effektfilm, als er auf die Spitze treibt, und seine Wirkung nur aus dem bezieht, was Film kann: Mit Bildern Gefühle machen, wenn auch beklemmende. Ohne Worte Geschichten erzählen, wenn auch denkbar schreckliche. Und mit subtilem Handwerk und den anderen Künsten alles exponentiell schlimmer machen.
Dieses Dröhnen: Das schafft es, ein Bild von einem dampfenden grünen Wald mit Angst zu besetzen. Dieses Vertigo: Es verleitet einen, im Gestrüpp ein Monster zu vermuten. Die ersten beiden Kapitel sollen die Nerven aufreiben, aber es passiert noch nichts. Bildgewalt macht Angst, aber ganz ohne verräterische Musik, die sagt: »Fürchte dich jetzt!« Erst in den hinteren beiden Akten folgt auf die Angstsammlung jeweils eine katastrophale Explosion.
Der Wendepunkt ist, als die Frau zu ihrem Mann, dem Therapeuten sagt: »Du hast mich geheilt. Das hast du toll gemacht!«** Da hat sie offensichtlich keine Angst mehr. Die einfachste Erklärung ist am Ende die beste: Die Frau ist böse. Ihre Angsterkrankung hat ihr bloß den Mann ausgeliefert. Eine Wendung vom Klischee des Horrorfilms: Nicht aus dem Wald kommt das Böse, sondern aus dem schwachen Geschlecht.
Wenn er (Willem Dafoe) sie nicht erwürgt und verbrannt hätte, hätte er sich garantiert scheiden lassen. Szenen einer Ehe, in der der »Klotz am Bein« keine Metapher ist.
* Warum nicht? Na ich hatte doch bezahlt. Selbstverständlich hätte ich in Wirklichkeit raus gehen können, wie das ja auch ein Drittel der Zuschauer über die Dauer des Films nach und nach gemacht hat.
** Der andere gute One-Liner des Films:
Er: »Wolltest du mich töten?«
Sie: »Noch nicht.«
(Für 04.07.)
Hey Martin,
dein Resümee zu Antichrist ist herrlich!
„Szenen einer Ehe, in der der >> Klotz am Bein << keine Methaper ist.
Freu mich auf Weiteres
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Nach dem zweiten Sehen kann ich hinzu fügen: Antichrists Gruselpotential nimmt exponentiell schnell ab.
Details habe ich erst beim zweiten Mal gesehen: Wie Er beiläufig über den Mühlstein streicht, als er erstmals an der Waldhütte ankommt. Über den Mühlstein, der später Teil seines Verhängnis’ wird.
Aber der Film ist hohl. Sein Kapital ist Manipulation der Gefühle der Zuschauer mit gut platzierten Tricks – aber das ist geschummelt. Es ist nichts dahinter, keine Story, die die Emotionen fundiert. Pfusch am Bau. Horrorporno.
Beim zweiten Sehen wird »Antichrist« in Teilen albern. Dass der Fuchs, der Ihn erschreckt, redet (»Chaos regiert«) ist unfreiwillig komisch. Prolog und Epilog (Schwarz-weiße Sequenzen in Zeitlupe und mit Händel unterlegt) hätte ich für eine Hommage auf Woody Allens Parodierung prätentiöser europäischer Kunstfilme gehalten, wenn sie nicht so ironiefrei eingesetzt würden.
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Diese Rezension noch einmal überarbeitet, inhaltlich runder und meines Erachtens damit besser – auf amazon.de: http://www.amazon.de/review/R22B22U4D2QUB3/ref=cm_cr_rdp_perm
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