Der Weimarer Superhelden-Fantasy-Action-Fortsetzungs-Groschenroman.

Thomas Schütte: »Großer Geist«. (Plastik vor dem Neuen Museum in Weimar.) Bronze poliert, farblos lackiert. Entwurf 1997, Ausführung 1998.
Sein Geist erwacht. Noch ist er hohl und metallen. Gedanken spritzen von ihm ab wie Licht von goldenen Oberflächen. Dann findet er sich bald in sich selbst: Die Überlegungen und Einblicke, die sich in ihm umsehen, wollen wissen, wo sie sind… Wessen Kopf ist das hier? Sie finden Rinnen, Mulden, Täler, die Gedanken. Sie probieren die Vertiefungen an, fühlen sie ab und lernen sie kennen.
Es ist glatt hier und sauber. Ein jugendliches Bewusstsein, unverschlackt. Wer bin ich?, fragt er sich. Kann das sein, dass ich einmal schon mal ich war?
Jetzt erinnert er sich: Das hier ist sein zweites Wachen. Die zweite – Nacht, in der er lebt.
Wer ist er? Er ist doch nicht dahinter gekommen beim letzten Mal. Wie kam er hier her? Das weiß er auch nicht. Er hat alles vergessen. Oder, halt, nein: Er hat es noch nie gewusst. Sein Geist ist nicht leer geworden oder unzugänglich: er ist unbenutzt.
Er hat einen Auftrag. Es gibt etwas zu tun. Nicht hier. Es zieht ihn an einen anderen Ort. Es muss schnell gehen.
Seine Beine wollen nicht so schnell wie er. Sie knacken und sind spröde. Kaltes Metall.
Erst löst er nur einen Fuß von dem Boden. Der andere bewegt sich schon geschmeidiger.
Vitale Wärme durchströmt ihn. Das Gold seiner Haut wird leuchtender. Wie bei einer Echse werden seine Glieder erst langsam zu seinen Helfern. Er betritt einen neuen Aggregatzustand – aus einem metallischen Fluss werden Binden und Bänder. Er ist jetzt wie aus Stoff und er kann endlich rennen.
Halb fliegt er, halb läuft er. Durch Straßen in der Nacht, wo keiner ihn sieht. Und wer ihn sieht, für den ist er zu schnell. Nur ein Blitz und ein Wind und da ist er schon viele Straßen weiter.
Aus dem Zentrum muss er in eine Allee, wo die Stadt sich in Parks verläuft und bald nur noch Dörfer ist. Dort ist ein Leben in Gefahr und es ist sein Wille, der ihn gar nicht überlegen lässt, was er tun will, sein will – sein Wille, der ihm sagt: Er muss den Fremden vor dem Auto retten…
»Genius Loci« wird fortgesetzt am 5. November.
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