Rewe-Azubis schmeißen den Laden eine Woche lang in eigener Verantwortung

Thüringische Landeszeitung vom 13. Mai 2002
• Von Martin Jost
Weimar. (tlz) Der Tag beginnt um vier. Die Frischwarenlieferung – Obst, Gemüse, Molkereiprodukte – muss in die Regale. Die Kassen sind mit ausreichend Wechselgeld zu bestücken, das Brot zum Aufbacken in den Ofen zu schieben. Dann werden die Zeitungen und Zeitschriften in ihre Ständer sortiert, Preisänderungen angeschrieben, noch einmal der Dienstplan durchgeschaut. Mit prüfendem Blick der letzte Gang durch die Regalreihen: Steht der Markt?
Wenn die ersten Kunden frühmorgens in die Kaufhalle quellen, erwarten sie den Joghurt dort zu finden, wo er seit Jahren steht, aber so frisch, als würde er morgen erst abgefüllt. Dass sie sich nicht die Arbeit vorstellen können, die dahinter steckt, spricht für die Leistung derer, die hier schuften.
Einen umsatzstarken Supermarkt am Laufen halten, das Personal mit 16 Mann dafür recht knapp bemessen; Extra-Arbeit mit Aktionen, Kunden anlocken jeden Tag und gleichzeitig Schülern die Perspektiven des Kaufmannsberufes nahebringen – dieser Herausforderung stellen sich seit Samstag die Auszubildenden aus den Rewe-Konsum-Märkten Weimars.
Samstagnachmittag, es geht auf den Ladenschluss zu. Die 21-jährige Marie-Luise Grau, Auszubildende zur Kauffrau im Einzelhandel im ersten Lehrjahr, sitzt am wackeligen Tisch in dem mit Akten, Schränken, Kaffeemaschine und unbenutzten Gemüsewaagen eingerichteten Sozialraum der Kaufhalle in Weimar-West und denkt angestrengt nach. Was „REWE“ bedeutet? Die Frage ist gemein. Nicht „Restloser Einsatz Wird Erwartet“, obwohl, auch das stimmt. Gerade hat sich der letzte reguläre Mitarbeiter verabschiedet. Am Vormittag war feierliche Schlüsselübergabe mit Sekt für alle. Bis nächstes Wochenende lässt sich kein Chef im Markt mehr blicken, außer um einzukaufen. Vielleicht. Das heißt Stress. Jeder Azubi, sowohl die vier „ansässigen“, als auch die zwölf aus den anderen Filialen, die sich überhaupt erst einfuchsen müssen, hat sein eigenes Projekt. Das heißt nicht nur die Arbeit, die normal anfällt wie Einräumen, Kasse, „Wälzen“ (das Aussortieren verfallener Produkte), sondern zum Beispiel auch Umsatzsteigerung durch Kuchenstand, Blumenmarkt oder Fit-und-schlank-Beratung. „Unser Erfolg wird durch die Kunden bewertet“, sagt Grau. Deshalb: Erhöhte Frequenz bei Kundenzufriedenheitsgesprächen diese Woche. „Jeder, der eine Minute entbehrern kann, schnappt sich Zettelblock und Stift und macht ein bisschen Umfrage unter den Leuten.“
Eine Kollegin kommt herein mit einem Kilo Spargel in der Hand. Ein Kunde misstraut der Tafel „Herkunft: Deutschland“, weil die ganze Packung mit griechischen Schriftzeichen überzogen ist. Des Rätsels Lösung: „Die Spargellieferung kam gestern noch woanders her“, weiß Grau. Sie wird in dieser Woche hauptsächlich organisatorische Arbeit machen. Vom Experiment einer Azubi-Management-Woche, deren Idee von den Lernenden selbst ausging, erwartet sie viele praktische Erfahrungswerte. „Es nützt uns auf jeden Fall.“