Spam-Attacke auf Junges Freiburg

Martin-Rathausbuero Womit niemand hätte rechnen wollen

Freiburg. (jf/majo) „Wir stehen vor einem Trümmerhaufen!“, formuliert Sebastian Müller die Gefühle, die nach der größten Spam-Attacke auf Junges Freiburg in der Geschichte der Wählervereinigung übrig bleiben.

„Unser Server ist überlastet. Nichts kann man mehr mit ihm anfangen. Er reagiert extrem langsam. Und wenn klar wird um wie viele Gigabyte wir unser Daten-Volumen überschritten haben, kommen wahrscheinlich Kosten von über 1.000 € auf die Wählervereinigung zu.“

„Sebastian dramatisiert mal wieder maßlos“, relativiert Martin Jost. Er disponierte die Task Force, der es an jenem denkwürdigen Mittwoch schließlich gelang, das Spam-Aufkommen zu stoppen. „Selbst wenn es so wäre, dass wir das Volumen überschritten haben, kann es ja nicht sein, dass wir für die Folgen eines Angriffs von außen aufkommen müssen.“ Bei der derzeitigen Haushaltslage des Vereins, so Jost, der gleichzeitig Kassenwart ist, würde das das Ende von Süßigkeiten bei den Montagssitzungen bedeuten.

Doch die Ereignisse sollen chronologisch nachvollzogen werden

Der 20. Februar 2006. Es ist Montagabend, Mosi im Rathausbüro. Stolz erzählt Sebastian von der Umsetzung des neuen dreiteiligen Verteiler-Konzepts für Junges Freiburg. mosi@junges-freiburg.de wird die Liste für alle Aktiven, die regelmäßig zur Montagssitzung kommen. Tagesordnungen, Vorlagen und Protokolle werden über diesen Verteiler geschickt werden – also alles relevante Material.

Was das bedeutet, kann zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen. Viele Mitglieder haben sich in den letzten Jahren an die große Mailflut im Verteiler gewöhnt und sich zusätzliche E-Mail-Adressen zugelegt, um noch effektiv kommunizieren zu können. Doch der stehende Begriff MMS (Mülli-Mail-Spamming) wird zwei Tage später eine völlig neue Bedeutung gewonnen haben.

Erste Warnzeichen wurden ignoriert

„Gerade vor Beginn der Mosi hat es noch geklappt – aber der Server war außergewöhnlich langsam und hat die Verteiler lange nicht eröffnen wollen“, teilte Sebastian am Abend des 20. seine Erfahrungen aus dem Internet mit. Hätte ihn das schon stutzig machen müssen?

Eine Nacht später im Rathausbüro: Nur am Schreibtisch brennt noch eine Lampe. Es ist schon nach Mitternacht, doch einer ist noch im Büro: Martin Jost, der ewige Mitarbeiter. Nach Kurier- und Technikdiensten beendet er seinen Arbeitstag im Büro mit dem Surfen durch Podcast-Angebote, ein neu entdecktes Paradies im Internet.

Kurz unterbrochen bei der Erweiterung seines Geistes und seiner Bildung wird er nur durch Sebastian Müller, der nach der Sitzung des Gemeinderates mit Fraktionsmitgliedern noch was trinken war. Angeheitert, jovial und unbesorgt nervt er kurz Martin Jost und geht dann heim. Doch eine E-Mail überholt ihn auf dem Nachhauseweg: Jost, der gerade Parodien auf die wöchentliche Radioansprache des Präsidenten und die journalistisch fundierte Radiosendung von DemocracyNow! runterlädt, wird aufmerksam auf eine zwanzigfache Fehlermeldung, die über den Mosi-Verteiler kommt. Er bittet Müller, dieses Spam-Problem zu lösen.

Martin Jost traut seinen Augen kaum
und aktiviert die Task Force

Müde und mit Ringen unter den Augen, weil er nicht anders konnte als bis tief in die Nacht Reportagen der BBC zu lauschen, kommt Jost am nächsten Morgen zurück in sein Büro. Im E-Mail-Postfach des gerade hoch gefahrenen Computers: Knapp 2.000 E-Mails, die einen Fehler bei der Zustellung von E-Mails im Verteiler berichten sind im Postfach aufgelaufen. Martin Jost ruft Sebastian Müller an, der den Mosi-Verteiler daraufhin einstampft und Martin an den Serveradministrator Janosch Peters weitervermittelt.

Müller muss nämlich eilig zur Arbeit. Den ganzen Tag über wird er mit einem Nachfahren der Fehrenbachallee in rot-weißer Uniform Leben retten. Aber keine Sekunde, auch nicht im Angesicht höchster Lebensgafahr und übelster Entstellung bei Patienten, wird er den Server vergessen, der seine Freunde von Junges Freiburg drangsaliert.

Martin Jost funktioniert das Büro im Rathaus kurzerhand zur Leitstelle für die Task Force um. Er koordiniert die ausführenden Retter Peters und Müller und nimmt Informationen von außen entgegen. Das Landratsamt Rügen hätte sich ein Beispiel an der Arbeit dieser spontanen Einsatzgruppe nehmen mögen.

Beschwerden gehen ein. Holger Weber, nah am Puls der Bundespolitik, wurde mit tausenden E-Mails überschwemmt. Jost kann ihm versichern, dass alle nötigen Schritte unternommen wurden, um sein Postfach zu verschonen.

Um 11:20 Uhr ruft der Helpdesk an: „Kann es sein, dass Ihr Postfach überläuft?“, fragt der EDV-Profi von der 1538. „Wir haben elftausend E-Mails, die auf Ihrem System liegen!“ Auch hier kann Jost glänzen, weil er eine Erklärung für das Problem anbieten und versichern kann, dass zu seiner Lösung schon von den richtigen Leuten etwas unternommen wurde.

Der Helpdesk sperrt die Absenderadresse Mosi und wird anlässlich der Wiedervorlage am heutigen Donnerstag prüfen, ob man sie wieder freigeben kann. Jost wird derweil noch Stunden brauchen um die 20.000 E-Mails zu löschen, die noch auf dem Server landen konnten und von GroupWise nach und nach heruntergeladen werden.

Martin Kranz ruft an: Er ist bei Junges Freiburg für die Organisation von Veranstaltungen zuständig. Der Stress hat seine Nieren ruiniert. Kaum ist er aus dem Krankenhaus zurück, wird ihm schon wieder übel mitgespielt: Sein E-Mail-Postfach ist voll. Zwei Computer, sein Desktop-PC und sein IBM-Notebook, verweigern den Dienst unter der Last der Post.

Verzweifelte Suche nach Ursachen • Jetzt auch noch ein Vorstandsmitglied im brasilianischen Regenwald vermisst

Am Mittag wurde noch eine Feedback-Schleife als Ursache für den Spam-Angriff vermutet: Jemandes Postfach ist überlastet und eine automatische Antwort wird wieder und wieder weitergeleitet, gleichzeitig versucht der Junges-Freiburg-Server, die E-Mail und alle Fehlermeldungen wieder und wieder zuzustellen. Ein Teufelskreis. Jost hatte einen Artikel über das Problem im Journal des Rechenzentrums der Universität Freiburg gelesen, der voller Bilder und toller Säulendiagramme zu einer solchen Feedbackschleife war, die sich zwischen Verteilern und automatischen E-Mail-Antworten hochgeschaukelt hatte.

Janosch Peters erkennt später, dass ein Spammer sich bewusst für die Attacke in der Mailingliste angemeldet hat und danach wieder ausgetreten ist. Er richtet verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ein: Ab morgen sollen sich in die JF-Verteiler nur noch Adressen eintragen können, die die Erlaubnis des Administrators haben. Das wird Peters sein oder Sebastian Müller.

Müller sucht derweil zunächst hysterisch nach Gründen für diesen gezielten Spam-Angriff auf Junges Freiburg: Er vermutet hinterhältige Personen, die im Dunkel wirken und die Wählervereinigung zerstören wollen. „Sie werden es nicht bei diesem einen Angriff belassen“, mutmaßt er. „Ganz sicher ist es eine koordinierte Aktion. Diese Leute sind skrupellos genug, zur gleichen Zeit Mohammed-Karikaturen auf unsere Website zu stellen, damit sich der Zorn von Islamisten auf uns entlädt, und unsere zweite Vorsitzende Nora Hofstetter zu entführen, die irgendwo in Lateinamerika weilt und von der wir schon seit Tagen nichts mehr gehört haben. – Außerdem ist mir auch alles egal, weil alles blöd ist.“

Nachlese

„Ich denke, wir haben aus dem Geschehenen gelernt“, hofft Jost, als er am Abend des 22. Februar 2006 misstrauisch auf seinen Computerbildschirm sieht. Es ist halb sechs und seit einer Stunde tröpfeln nur noch vereinzelt E-Mails in das städtische Postfach. Hauptsächlich Fehlermeldungen von den überfüllten Postfächern der Mitglieder. Jost hatte seinen privaten Account noch rechtzeitig versiegeln können, bevor sein Computer eine einzige Spam-Mail herunter lud. Glücklicherweise hat er mehr als zehn persönliche E-Mail-Adressen, von denen insgesamt erst zwei Opfer eines Spam-Angriffs wurden. „Das gibt mir die Möglichkeit, auszuweichen und erreichbar zu bleiben.“ Er kann sich auch über die positiven Folgen der Katastrophe freuen, die da wären: „Mehr menschliche Nähe. Junges-Freiburg-Mitglieder werden eine Zeitlang verstärkt miteinander telefonieren und Dinge in Gesprächen klären. Das wird sich positiv auswirken. So wie dem zweiten Weltkrieg das Wirtschaftswunder folgte.“

Außerdem ließe sich darüber nachdenken, statt mit Poledo (Politik am letzten Donnerstag im Monat) oder JF-Schwimmen das Gruppengefühl im Verein mit Lynchmord zu heben. „Wenn wir wissen, wer der Typ war, der unseren Verteiler verstopfte, können wir von der Montagssitzung uns zusammentun und ihm gemeinsam im Dunkeln auflauern“, so Müller.

Jost hätte gern gesehen, wenn sich der Fehler im System rekonstruieren und kontrolliert einsetzen ließe. „Wir hätten diese Waffe dann zur Verfügung und könnten politische Gegner allein durch die abschreckende Wirkung unserer Spam-Fähigkeit ruhig stellen.“

Zunächst geht es aber erstmal darum, den Schaden zu beheben. Viele Mitglieder von Junges Freiburg, glauben Jost und Müller, checken ihre E-Mails nur einmal täglich oder seltener. Die dürften von der Überflutung ihrer Postfächer noch überhaupt nichts wissen. Und wenn sie’s rausfinden, so haben sie einen Online-Account und werden viel Zeit benötigen, um alle E-Mails restlos zu löschen.

Dieser Artikel erschien am 23. Februar 2006 auf junges-freiburg.de.

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