Szenen einer Ehe, in der der »Klotz am Bein« keine Metapher ist

Martin kuckt Antichrist

Dieser Artikel ist eine Revision der Besprechung vom 23.09.2009.

Spoiler Alert! • Verderbnisalarm! Obige Rezension verrät das Ende.

Freiburg. (mjeu) Wenn uns Der weiße Hai das Baden im Meer und Psycho das Duschen vergällt hat, dann macht Lars von Triers Schocker Antichrist die Frau mies. Und den schönen deutschen Wald.

Die fischige Ära des Feminismus muss vorbei sein, wenn ein Mann, der sich selbst mit klinischen Depressionen noch »bester Regisseur der Welt« nennt, einen phallischen Horrorfilm macht mit den Themen: Frauen sind das Böse; weinende Frauen sind falsch; die Hexenverbrennung war eine gute Maßnahme, aber vergleichsweise inkonsequent.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Film (es ist doch bloß ein Film!) noch einmal so erschrecken könnte. Ich war im Kino vor allem erleichtert, dass ich bis zum Abspann durchgehalten habe. Irgendwann in Kapitel 3 von 4 wurde mir bedrückend klar, dass mein Unbehagen ab jetzt zunehmen würde und ich nicht entkommen kann. Als einzigartig werde ich mich daran erinnern: Mich im Kino umzuschauen und Dutzende unter Jacken verkrochen zu sehen; das »Puh, wir habens zusammen durchgestanden«-Grinsen der anderen Zuschauer beim Hinausgehen.

Antichrist ist in dem Sinne virtuos, als er auf die Spitze treibt, was Film bestens kann: Mit Bildern Gefühle machen, wenn auch beklemmende. Ohne Worte Geschichten erzählen, wenn auch denkbar schreckliche. Und mit subtilem Handwerk und den anderen Künsten alles exponentiell schlimmer machen.

Dieses Dröhnen: Das schafft es, ein Bild von einem dampfenden grünen Wald mit Angst zu besetzen. Dieses Vertigo: Es verleitet einen, im Gestrüpp ein Monster zu vermuten. Die ersten beiden Kapitel sollen die Nerven aufreiben, aber es passiert noch nichts. Bildgewalt macht Angst, aber ganz ohne verräterische Musik, die sagt: »Fürchte dich jetzt!« Erst in den hinteren beiden Akten folgt auf die Angstsammlung jeweils eine katastrophale Explosion.

Dass Lars von Trier was kann, zeigen handwerkliche Kniffe wie: Indizien aus dem ersten Akt, die am Schluss einen Sinn geben. Details wie der Mühlstein, über den Er (Willem Defoe) mit seiner Hand streicht. Oder die Fotos.

Gut ist auch das Spiel mit der Erwartungshaltung: Woher kommt mutmaßlich das Grauen? Wo steckt es dann wirklich?

Antichrist ist in dem Sinne ein billiger Effektfilm, als er nur filmisches Handwerk bietet, kein menschliches. Mit Bildern und Sounds unfundierte Gefühle beim Zuschauer ausreizen, die nicht durch Charakter oder Handeln der Figuren gestützt werden – das ist Schreiben ohne Fundament, das ist Pfusch am Bau. Was Antichrist einen fühlen lässt, ist alles heftig, aber leer. Beim zweiten Sehen geht Antichrist das Gruselpotential daher fast schon ab. Um nicht zu sagen, er wirkt mit der Zeit albern.

Deus ex machina ist hier: Wenn die Charaktere nicht für sich einnehmen können, muss die Filmkunst platte Gefühle aus dem Zuschauer kitzeln. Brachial und mechanistisch. Ein Hochglanz-B-Movie, ein Splatter-Porno.

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Eingeordnet unter 06 Martin Josts Kulturkonsum, Martin kuckt

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