Es sind doch bloß Sterne

Wo sitze ich? Zu Hause. Was ist falsch an diesem Bild? Es ist Montagabend und ich wollte gar nicht zu Hause sein.

Ich wollte im Planetarium sein.

Projektor Planetarium Freiburg

Neben vorproduzierten allgemein bildenden Programmen über den Aufbau des Universums und die Geschichte der Naturwissenschaften sowie Kindervorstellungen und selten mal poppigen Multimediashows zeigt das Planetarium Freiburg an jedem ersten Montag des Monats die Vorführung „Sternenhimmel des Monats“. Den Sternenhimmel des Monats wollte ich mir am ersten Aprilmontag ansehen. Doch etwas Unerhörtes ist passiert.

Das Planetarium war ausverkauft und ausreserviert. Schon am Sonntagnachmittag.

Habt ihr kein Zuhause?

Was geht eigentlich? In dieser Stadt, in der scheinbar mehr Kulturschaffende wohnen als Zuschauer, in der pro Woche mehr Konzerte sind als Einwohner, in der hochprofessionelle Künstler das Haus nicht vollkriegen, in der niemand mit dem Besuch irgendeiner Vorstellung belästigt werden kann bevor die Uhr zehn schlägt, in der das Theater nur für die ansässigen Kulturjournalisten geöffnet hatist das Planetarium ausverkauft? Mehr als einen Tag vor Vorstellungsbeginn? (Nur meine jahrelange Konditionierung als Typografiefascho und die folgerichtige Antizipation psychosomatischen Schmerzerlebens haben mich gehindert, meine Erregung in vier Fragezeichen hinter diesem Satz zu formalisieren.)

Kam nichts im Fernsehen? Nichts im Kunstkino? Habt ihr euch nicht genügend auf der Arbeit verausgabt an diesem ersten Tag der Woche?

Bleibt zu Hause

Planetarium ist kein Mainstream. Planetarium ist ein hochsubventioniertes Angebot der kulturellen Bildung (ich versuche, Worte dafür zu finden, die euch so doll wie möglich abtörnen). Abgesehen von populären Anbiederungen wie «Queen – Heaven» („die erfolgreichste Musikveranstaltung, die jemals in einem Planetarium gezeigt wurde“, O-Ton Produktionsfirma) gehören Planetarien zu den weltfernen Kulturinstitutionen aus dem Köcher der freiwilligen kommunalen Leistungen. Dass bei einem günstigen Eintrittspreis (vier Euro ermäßigt) jedes Ticket mit einem Zuschuss von 10,65 € praktisch von der Stadt Freiburg spendiert wird☎,♨, spricht doch Bände über die Unsexiness des Planetariums.

Planetarium ist für:

  • Bildungsrentner, die tagsüber schon Vorlesungen über die griechische Antike im Rahmen des Seniorenstudiums der Universität besucht haben
  • Nerds, die irgendwas Naturwissenschaftliches studieren und in ihrer Freizeit durch Piratenwählen und Raubkopieren den Untergang des Abendlandes und der analogen Welt vorantreiben
  • Schüler, die von der Schule zu einem klassenweisen Besuch gezwungen werden (aber selten zum Besuch der Abendvorstellungen)
  • Hobbyastronomen, die sich freuen, ihr Jagdrevier einmal ohne Lichtverschmutzung imaginieren zu können und dass im Foyer alte Ausgaben von «Sterne und Weltraum» verschenkt werden
  • ein paar wenige Eingeweihte, die wissen, wie geil es im Planetarium ist und diesen Geheimtipp hüten wie einen Schatz und sich hüten würden, dieses Geheimwissen weiterzugeben.

Ich zähle mich zur letzten Kategorie. Obwohl ich gern glauben würde, dass ich als Nerd durchgehe (ich verdiene mir meine Miete als IT-Administrator und als der Typ, der Internet kann; ich besitze eine Sternkarte, die ich mir in der 10. Klasse zusammen mit Lehrbüchern für das Schulfach Astronomie kaufen musste; ich kucke lieber «StarTrek» auf DVD als auf eine Party zu gehen), wird mir immer wieder klar, dass ich mit dieser Kultur nicht mithalten kann (ich hatte mit 14 erstmals einen Computer zu Hause, aber ich habe lieber Microsoft Word erkundet als die Registry; ich beherrsche HTML so schlecht wie Französisch; ich meide Foren, wenn ich kann und verstehe nicht, was ein „großer Flausch“ ist).

Mein Geheimwissen um Planetarien rührt daher, dass ich in der Nachbarstadt Jenas groß geworden bin, dem Standort des ersten Planetariums der Welt. Das unwahrscheinliche Erlebnis eines natürlichen Sternenhimmels aus einem fast liegenden Sessel unter einer künstlichen Kuppel, die alles Künstliche verliert, sobald das Licht ausgeht, ist immer aufs Neue überwältigend und gleichzeitig mit Worten sowieso kaum mitzuteilen. Der Geheimtipp bleibt also ein Geheimtipp, selbst, wenn man jemandem davon zu erzählen versucht, der noch nicht erlebt hat, was in einem Planetarium passiert.

Wenn ich ins Planetarium will, erwarte ich, dass ich ins Planetarium komme. Dass ein paar Sessel besetzt sind, aber dass meine Freund und ich in der Regel Platz finden. Das Planetarium hat so viele Plätze wie die Hälfte der Kinosäle im örtlichen Multiplex. Es ist falsch, dass es mit seinem Nischenangebot voll wird. Es ist wider die Natur.

Freiburg ist anders

Ihr Draußenmenschen! Es ist Frühling. Wann, wenn nicht jetzt wollt ihr lieber abends grillen oder tanzen gehen oder auf der Sternwaldwiese hocken? Was habt ihr zu suchen in einem klimatisierten Raum, der sperriges Spezialwissen vermittelt? Planetarium ist total trocken, glaubt mir. Das ist nichts für euch. Bleibt zu Hause oder sitzt irgendwo draußen.

Freiburg ist komisch. Auf Mainstream und U-Kultur wird hier gepfiffen. Warum zieht diese Stadt für ein Provinznest so unverhältnismäßig viele Partyveranstalter, Technomusiker und Dandys an, die dann kein Publikum finden? Warum gehen die Leute hier lieber in einen Vortrag an der Uni oder ins Planetarium als abzurocken? Warum schneiden die Freiburger die richtigen Kinos und machen, dass die Programmkinos mit ihren europäsichen Prätentions-Präsentationen rappelvoll sind? Ist es wirklich so, dass eingebildete Akademiker an dieser Stadt kleben bleiben wie an einer Mottenfalle?

Na gut, dann baut halt ein größeres Planetarium. Vielleicht eins mit mehreren Sälen. Mir egal. Ich will Montagabend jedenfalls in «Sternenhimmel des Monats» kommen.


Bedeutung der Fußnoten

☎ = Das habe ich mit meinen bescheidenen zeitlichen Ressourcen recherchiert. Also gegooglet. Ein Beleg ist verlinkt.
♨ = Das riecht nach Polemik. Einen Beleg verlinkt habe ich trotzdem.


Das Planetarium Freiburg …

… befindet sich seit 2002 im Gebäudekomplex am Hauptbahnhof. Seitdem kam mehr als eine halbe Million Zuschauer zu gut 6.000 Vorstellungen. Das macht im Schnitt 83 Besucher pro Vorstellung. Es ist bei 140 Sitzplätzen also zu 60 Prozent ausverkauft – eine Besucherquote, für die Hotels und Kinos töten würden.


Auch noch:

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