Der eifrige Aufzeiger
Karlchen hatte in der Schule praktisch immer den Finger oben. Das Kuriose war, dass er sich auch meldete, wenn kein Lehrer was gefragt hatte und auch, wenn er keine Lösung wusste. Karlchen redete einfach gern. Wenn er dran kam, riet er je nach Frage entweder ins Blaue hinein oder lenkte vom Thema ab oder reproduzierte das in der Klasse bisher Gesagte, als wäre er gerade selbst darauf gekommen.
Heute ist er entweder in der Politik oder im Verkauf. Seine Facebook-Kontakte sind alles RealLife-Freunde. Er ist ja schon ein lieber Kerl. Online klickt er vor allem: „Like!“. Ungefähr unter jedem Post von Freunden. Und unter jedem Kommentar, den ein Freund unter die Caption zu einem Foto einer Band geschrieben hat. Wenn Karlchen könnte, würde er auch die „Likes“ von anderen Leuten liken um zu zeigen, dass er liket, was sie mögen.
Selbst produziert er nichts. Abgesehen davon, dass er noch nie eine Seite im Browser geschlossen hat ohne sie per Facebook-Plugin allen zu empfehlen, bestehen seine selbst verfassten Kommentare eigentlich nur aus Lob und Anerkennung und Kaputtlach-Smileys für die anderen auf Facebook.
Durch seine rege Aktivität ist das eifrige Aufzeigerle Karlchen immer im Newsfeed seiner Freunde zu sehen. Er sagt bloß nix. Wie ein Kleiner, der auf und nieder hüpft um über die Ladentheke zu blicken.
Ob ihm das Konsumieren und Mitlaufen einfach liegt? Oder sind seine Ansprüche zu hoch und er hat sich in eine verkrampfte Schreibblockade hinein gesteigert? Jedenfalls irgendwie nett, dass er da ist.
Auch noch:
- Martin auf Facebook: Like!
- Textsorten: Die Tweet-Typologie
- Internet-Glosse: Warum das studiVZ die DDR des Internets ist
Dieser Text erschien am 25. Mai 2011 auf fudder.de und am 27. Mai 2011 in der «Badischen Zeitung».
Illustrationen © Karo Schrey
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