Der vorläufige Klimax der Pop(p)-Ironie
Während sich Deutschlehrerinnen überall im Land noch weigern, sich auf eine verbindliche Definition von „Postmoderne“ festnageln zu lassen, ist das Popkulturon schon etliche Ecken weiter. Wir sind, wie man hört, transpostmodern, post-ironisch und mega meta. Die Chance, dass ein Künstler und sein Rezipient zu einem beliebigen Zeitpunkt auf derselben Meta-Ebene sind, geht gegen Null.
Selbstironie ist die Voraussetzung, noch etwas von Wert auszusagen. Der Haken an Selbstironie ist, dass sie eine Denkebene voraussetzt oder eine Schaffensperiode, in der der Produzent etwas ernst meinte. (Denkebene oder Schaffensperiode heißt hier: Gleichzeitigkeit ist nicht ausgeschlossen. Ein Selbstironiker kann eine Aussage treffen, die im selben Moment eine ernst gemeinte Grundlage hat, in dem sie sich und ihn parodiert.)
Der Punkt ist doch:
Das ist das lustigste Lied, das mir in den letzten Tagen untergekommen ist.
Das spricht einerseits für die Comedyband Lonely Island, aber es spricht auch für ihre Methode: Das Aufdecken und Verwerfen von Pretentiousness in der bisherigen Kunst und der konsequente Bruch mit ihr.
Popsongs handeln normalerweise von Liebe und Herzschmerz und sind im Wesentlichen unreflektiert. Liebe wenig handfest und so. In »I just had Sex« bricht das lyrische Ich in Freudengesang aus, weil es gerade gebumst hat.
[Rap:] “Sometimes
something beautiful happens in this world[Schmalz:] Akon
You don’t know how to express yourself, so
And Lonely Island
You just gotta sing:
I just had sex
and it felt so good
A woman let me put my penis inside her
I just had sex
And I’ll never go back
To the not having sex-place of the past.”
Das wäre eigentlich nicht lustig, wenn stimmen würde, dass Popmusik immer von starken Gefühlen handelt und Künstler ohne sich selbst zu zensieren über die schönsten Dinge des Lebens in Gesang ausbrechen. Weil Popmusik in Wirklichkeit aber regelmäßig von Kinderemotionen handelt und sich ätherisch zurückhält (was ich oben mit Pretentiousness meinte), singt nur eine Comedyband klipp und klar:
“To be honest, I’m surprised she even wanted me to do it
—doesn’t really make sense
—but, man, screw it
[…]
I’m so humbled by a girl’s ability to let me do her
—’cause honestly, I’d have sex with a pile of manure
with that in mind, a soft, nice-smelling girl’s better”
Das Lustigste aber an »I just had Sex« und dem Musikvideo dazu ist Akons Auftritt in dem Song. Akons tragende Schmalzstimme kennt man aus »Ghetto« oder dem Chipmunks-Klassiker »Lonely«. Gefällige, synthetische, melancho-schmachtende Balladen, die Til Schweiger hören würde, sind seine Welt. Und deshalb ist es so witzig, mit welchem Ernst er bei der Sache ist, wenn er die Schmalzstimme zur gefälligen, synthetischen Melanchoschmachtballade »I just had Sex« beiträgt.
Der Text an sich ist eine selbstironische Leistung für jeden Stecher (“The best thirty seconds of my life”) und verkehrt das Rollenbild vom sehnenden, aber selbstbewussten Minne-Popsänger in einen Mann, der die Gnade kaum fassen kann, die ihm zuteil wird, indem eine Frau mit ihm ins Bett geht:
“This one’s dedicated to them girls
that let us prop around on top of them
If you’re near or far,
whether short or tall,
We wanna thank you all
for lettin’ us fuck you.She kept looking at her watch
Doesn’t matter, had sex
But I cried the whole time
Doesn’t matter, had sex
I guess she might have been a racist
Doesn’t matter, had sex
She put a bag on my head
Still counts.”
Ich gebe zu, es ist schwer zu entscheiden, ob ein Künstler originär zur Selbstironie begabt ist oder eine Management-Entscheidung trifft. Akons Wikipediaartikel liest sich wie die ironische Parodie auf den Lebenslauf eines reichen Künstlers mit Orientierungsproblemen im Wertewald und ohne Sinn, seine eigenen Ambivalenzen zu acknowledgen:
„Im Juli 2009 wurde Akon von seinem weißen Tiger angefallen, den er in einem Käfig in seinem Garten hält. Sein Arzt bestätigte, dass Akon schwere Verletzungen am Oberkörper sowie leichte Verletzungen im Gesicht erlitt nachdem er versuchte, das Tier durch den Garten zu führen. […] Ferner ist Akon Gründer der Wohltätigkeitsorganisation „Konfidence“, die sich der Hilfe unterprivilegierter Kinder in Afrika verschrieben hat. Er ist gleichzeitig Besitzer einer Diamantenmine in Südafrika.“
Ich habe jetzt keine Lust, auch noch Interviews mit Akon zu lesen um eine gründliche Ferndiagnose abgeben zu können, ob der Mann ironisch ist oder nicht. Die Antwort könnte auch kaum schwarz/weiß ausfallen. Selbst wenn Akon zur Songaufnahme und zum Videodreh kam, so voll Selbstironie, dass sie ihm aus den Ohren lief, kann er immer noch eine andere, weniger hintergründige Ironie gespürt haben als die Musiker von Lonely Island – sofern man ihre Selbstironien qualitativ messen und vergleichen könnte.
Vielleicht fand er es schon ironisch, mit seinem Schmalzgesang mal richtige Worte wie “sex” in den Mund zu nehmen und so einen Kontrapunkt zu seinen sonst radiofähigeren Hits zu setzen.
Gleichzeitig mögen Lonely Island sich überlegt haben, wie ironisch es wäre, ihn in ihre Macho-Dekonstruktion über notgeile Männer, die Frauengunst restlos ausgeliefert sind, hineinzuziehen, ohne, dass er sich über Rollenbilder in Popsongs schon mal Gedanken gemacht hätte. In dem Sinne hätten sie ihn vorgeführt, obwohl man nicht sagen könnte, dass er sich einer Metaebene nicht bewusst gewesen wäre.
Warum ich euch das Video eigentlich zeigen wollte (und was ihr mir vielleicht beantworten könnt): Sieht es nur für mich so aus, als sei Akon in der letzten Einstellung (dem Feuerwerk) der einzige, der keinen echten Böller über sein Gemächt geschnallt hat, sondern nur visuelle Effekte absprüht?
Ich melde Markenschutz an für folgende Wortschöpfungen: Popkulturon™, transpostmodern™, Melanchoschmachtballade™, Wertewald™.
Auch noch:
- Eurodance is bäck: Martin hört Lady Gaga
- Was ich so höre: iTunes-Mem
- Die nächste Dimension von Kitsch: Scala & Kolacny Brothers in Freiburg