Ich schreibe neuerdings meine Magisterarbeit. Und zwar nur die Magisterarbeit und keine offenen Hausarbarbeiten mehr. Jahrelang schien mir dieser Klimax in unerreichbarer Ferne und jetzt ist es nur ein kurzer Moment, den ich mal besser schnell auskoste, sonst ist er schon wieder vorbei. (Ernsthaft, ich könnte besser in der Zeit sein. Ich war aber auch schon schlechter.)
Zu meiner eigenen Überraschung und entgegen aller Fantasien, die ich früher von dieser Phase meines Studiums hatte, schreibe ich meine Magisterarbeit in Alter Geschichte nicht zu einem Thema mit StarTrek. Nicht, dass ich meiner Betreuerin keines vorgeschlagen hätte. Ich konnte nur einfach nicht überzeugen. Jetzt trägt das Projekt den Arbeitstitel: Bleivergiftung durch Nahrung in Rom. („Nahrung“ steht hier vor allem für Wein.)
Das habe ich heute gelesen:
- Ann G. Carmichael: »History of Public Health and Sanitation in the West before 1700«.
- Mein eigenes Exposé von vor sechs Wochen.
Das habe ich heute geschrieben:
- Eine neue Seite für die Magisterarbeit ≙ 2.935 Zeichen inkl. Leerzeichen. Sieben Fußnoten.
- Eine ToDo-Liste aus den Anknüpfungspunkten und offenen Fragen des Exposés sowie aus den Rückmeldungen meiner Betreuerin.
Das habe ich heute gelernt:
Die Römer der Kaiserzeit (27 v. Chr. bis 284) kackten geschätzte 40 bis 50 Tonnen am Tag (Carmichael 1993, S. 194.: “produced about 40,000 to 50,000 kilograms of body waste per day”; Carmichael beruft sich hier auf Hochrechnungen von Scobie (Vgl. ebd., S.193)). Diese Annahme fußt allerdings auf einer zugrundegelegten Bevölkerungszahl von acht bis zehn Millionen. Wir wissen, dass Roms Rekord als größte Stadt außerhalb Chinas erst mit der Industrialisierung eingestellt wurde (Morley 2013, S. 29), aber über ihre tatsächliche Bevölkerungszahl können wir nichts Genaues sagen. Neuere Handbücher gehen deshalb eher vorsichtig von einer Million Einwohnern aus (Ebd.). Interessanterweise verknüpft Bruun mit der korrigierten Bevölkerungsschätzung die alte absolute Mengenangabe für den römischen Tagesumsatz an Exkrementen: “A population of 1 million people produced some 50,000 kg of solid bodily waste per day.” (Bruun 2013, S. 311.) Demnach hätten die Römer quantitativ gut acht mal so viel gekackt wie bei Carmichael (bzw. Scobie).
Ist doch ärgerlich, dass wir das nicht genauer wissen. Die Römer waren wohl doch nicht ganz so gründliche Bürokraten, wie uns «Asterix» glauben machen will (Tchernia et al. 1976). Vollständige Melderegister sind nicht überliefert. Schon wenn wir ausrechnen wollen, wie hoch der Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser (bzw. Abwasser) im alten Rom war, sind wir aufgeschmissen. Zur Unsicherheit über den Divisor Bevölkerungszahl kommt der nicht genau bekannte Dividend: Wie viel Wasser floss an jedem Tag durch Rom? Die Querschnitte der Aquädukte und innerstädtischen Leitungsrohre sind ein Hinweis. Aber sie sagen uns weder, wie voll die Leitungen waren, noch, wie schnell das Wasser floss. Und was floss ab? Warum hatten die keine Zähler? Die hatten sonst doch alles.
Wie sollen wir als Menschheit in ein selbstgewisses Morgen schreiten, wenn wir unser Gestern noch nicht restlos kennen? Hauptsache auf den Mars fliegen – aber keine Ahnung haben von den Ausmaßen der Scheiße in unserer Vergangenheit.
Literatur
- Bruun, Christer (2013): Water Supply, Drainage and Watermills. In: Paul Erdkamp (Hrsg.): The Cambridge Companion to Ancient Rome. Cambridge. S. 297–314.
- Carmichael, Ann G. (1993): III.10 History of Public Health and Sanitation in the West before 1700. In: Kenneth F. Kiple (Hrsg.): The Cambridge World History of Human Disease. Cambridge. S. 192–200.
- Morley, Neville (2013): Population Size and Social Structure. In: Paul Erdkamp (Hrsg.): The Cambridge Companion to Ancient Rome. Cambridge. S. 29–44.
- Tchernia, Pierre & René Goscinny & Albert Uderzo (1976): George Dargaud (prod.): Les Douze Travaux d’Astérix. Frankreich.
Auch noch:
- Wie konnte es nur so weit kommen? Magistersaurus Rex
- Fäkaler wird’s nicht: Mein fucking Urheberrecht
- Fäkaler geht’s immer: Ein Ethiker fühlt sich falsch zitiert