Den Bericht der Kommission zur Untersuchung der Terroranschläge vom 11. September gibt es auch in einer graphischen Version. Anders gesagt: Als Sachbuch-Comic. Ausgezeichnete journalistische Arbeiten sind bereits in diesem Genre entstanden. Die graphische Adaption des «9/11-Reports» erfährt leider keine Aufwertung durch die Bilder.
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«The 9/11 Report—A Graphic Adaptation» by Sid Jacobson & Ernie Colón
My rating: ★★✩✩✩
Nach den Terroranschlägen auf die USA vom 11. September 2001 wurde eine Kommission eingesetzt, die die Ereignisse von allen denkbaren Seiten untersuchen sollte. Die “National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States” untersuchte das Vorgehen der Flugzeugattentäter am 11. September, aber auch die politische Vorgeschichte, in der Infrastruktur und Taktiken entstehen konnten, die zusammenfassend als “New Terrorism” bezeichnet werden.
Der Bericht der Kommission zeigt viele Momente in der US-Außenpolitik auf, in denen die Clinton- und später die Bush-Regierung wirksam gegen Osama bin Laden bzw. Al Qaida hätten vorgehen können. Die Bestimmer im Weißen Haus hatten ein solches Vorgehen aber viele Jahre nicht oben auf ihrer Prioritätenliste stehen. In der innenpolitischen Perspektive zeigt der Bericht auf, wo die mangelnde Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden jede Chance sabotierte, rechtzeitig und wirksam auf die neue Terrorgefahr zu reagieren. Schließlich folgen Beispiele für die Überforderung der Strukturen zur Katastrophenabwehr am Tag der Terroranschläge selbst. So waren zum Beispiel die New Yorker Feuerwehrleute, die am 11. September im World Trade Center im Einsatz waren, nicht mit Funkgeräten ausgerüstet, die eine reibungslose Verständigung zwischen den Einheiten innerhalb und außerhalb der Gebäude erlaubten.
Der Bericht schließt mit Empfehlungen für eine US-Außenpolitik, die den “New Terrorism” zurückdrängen soll, mit Empfehlungen für die Reform der amerikanischen Sicherheitsdienste und für Verbesserungen an den Strukturen der Katastrophenabwehr. Die Politik der Bush-Jahre widersprach grundsätzlich den meisten Empfehlungen des Reports. Als letzte Amtshandlung veröffentlichte die Kommission 2006 eine Evaluation der politischen Maßnahmen, die auf die Terroranschläge folgten und kritisierte die Politik aufs Schärfste.
Kein Mehrwert
Ebenfalls 2006 erschien die Comic-Version des «9/11-Reports». Die graphische Bearbeitung des Berichts enthält ein eigenes Vorwort der Kommissionsvorsitzenden. Das Vorwort legitimiert die Umsetzung als niederschwellige Lektüre für eine breite Bevölkerungsschicht, die den originalen Bericht nicht lesen werde. Sid Jacobson & Ernie Colóns Bearbeitung hält sich streng an den Aufbau und an die Kernaussagen der Vorlage. Die Struktur der Kapitel bleibt erhalten.
Dem entsprechend bietet das Buch keine zusammen hängende Erzählung auf, sondern listet Ereignisse und zitiert Zeugenaussagen in Sprechblasen. Die Sprache behält viel vom originalen bürokratischen Stil – nur müssen wir sie in großen Buchstaben in einer Art Comic-Lettering lesen.
Die Ebene der Bilder bietet selten neue Informationswerte. Die Illustrationen sind eher aus demselben Fundus, den auch eine Film-Dokumentation verwenden würde und wiederholen bis auf wenige Ausnahmen, was der Text sagt. Beim Lesen kommen wir oft ins Stocken, weil die Reihenfolge der Panels, Textkästen und Sprechblasen nicht eindeutig ist. Der Mehrwert, den die graphische Adaption bietet, ist in etwa der, den eine seriös produzierte Filmversion bieten würde. Die graphische Fassung enthält aber keine Ebene, die die politischen Komplexe mit zusätzlichen Informationen versieht oder zugänglicher macht. Im Gegenteil verkürzt er vielleicht sogar viele Punkte des Berichts zu stark. Niederschwelliger als der originale Kommissionsbericht dürfte «The 9/11 Report: A Graphic Adaptation» nur auf den ersten Blick sein.
Die gesamte graphische Adaption ist hier online verfügbar.