Rosenheim. Der Meridian von Salzburg nach München Hauptbahnhof fährt planmäßig an Gleis eins ein. Der Pendlerzug ist heute kürzer, aber das ist nicht der Grund dafür, dass er so voll ist wie eine S-Bahn zur Rush-Hour. Die Passagiere drücken sich im Stehen von innen an die Türen. Es sind überwiegend Flüchtlinge.
Eine Zugbegleiterin läuft am Bahnsteig entlang und antwortet scheinbar auf das Murren einiger Münchenpendler: „Die Österreicher haben die Grenzen aufgemacht, deswegen. Wir müssen die mitnehmen. Lieber nicht tief einatmen. Der nächste wird genau so voll.“
Rosenheim ist für viele Züge aus Österreich der erste Halt in Deutschland. Üblicherweise sitzen die meisten Flüchtlinge in Fernzügen und werden beim Halt in Rosenheim von der Bundespolizei eingesammelt. An Gleis eins ist eine Art Open-Air-Meldebüro aus Paravans, Flatterband und Campingtischen entstanden. Ein Monate altes Provisorium.
Dienstagfrüh kommt der Meridian voll in Rosenheim an und er bleibt auch voll. Die Bundespolizei verzichtet darauf, die Züge zu leeren, weil sie mit der Erfassung der Neuankömmlinge vorläufig überfordert ist. Am Vortag hat Ungarn Tausende Flüchtlinge am Budapester Bahnhof die Züge Richtung Westen besteigen lassen.
Die Flüchtlinge im Meridian sind offensichtlich erschöpft. Viele haben die Augen geschlossen und schlafen fest. Kinder sitzen auf dem Schoß ihrer Eltern oder liegen am Boden und schlafen. Wer wach geblieben ist, sieht aus, als kämpfe er nur gerade noch mit dem Schlaf.
Die in Rosenheim Zugestiegenen verteilen sich auf die Gänge. Es gibt noch genug Stehplätze. Praktisch für jede Frau, die gerade eingestiegen ist, springt ein männlicher Flüchtling auf und überlässt ihr seinen Sitzplatz.
Der Zug fährt ab – pünktlich auf die Minute. Auf der Fahrt nach München ist es genau so still wie an einem normalen Werktag, wenn ausschließlich Pendler sich auf die Sitze verteilen und etwas dösen oder lesen.
Auch das noch:
- Dokfest München 2015: Video-Erinnerungen eines Kriegsflüchtlings
- Gewalt via Sprache: Porträt von Prof. Friedemann Vogel
- Politik in Platitüden: „Welche Antwort braucht dieses Land?“
martinJost.eu 