Schlepper und Schleuser AG

Die „2. Internationale Schlepper- und Schleusertagung“ (ISS 2015) an den Münchner Kammerspielen ist offensichtlich ironisch gemeint. Das heißt aber nicht, dass die Macher nicht provozieren wollen. Politiker von CDU und CSU beißen an.
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„Die ISS 2015 präsentiert sich erneut als DIE relevante Fachtagung der weltweit agierenden Fluchthilfe-Unternehmen. Wichtigstes Tagungsziel 2015 ist die Image-Aufwertung sowie die damit einhergehende Neubewertung der Dienstleistungen Schleppen und Schleusen.“

Das PR-Sprech preist auf der Kongress-Website iss2015.eu die „2. Internationale Schlepper- und Schleusertagung“ an, die vom 16. bis 18. Oktober in München stattfindet.

Wir sind sicher, dass es sich bei der Tagung um Satire handelt. Schon deshalb, weil sich die Angehörigen der Berufsgruppe „Schlepper und Schleuser“ in Deutschland nicht ungestraft outen könnten, indem sie einen Fachkongress besuchen. Die Strafverfolgungsbehörden würden sie vom Fleck weg einkassieren.

Es gibt auf der ISS-2015-Website weitere Hinweise, dass es sich um eine künstlerische Auseinandersetzung handelt. Schon die Homepage weist ausdrücklich darauf hin, dass die ISS zeitgleich mit dem „Open Border Kongress (Munich Welcome Theatre)“ in der „Kongreßhalle der Münchner Kammerspiele“ stattfindet. Neben dem Akkreditierungsformular heißt es: „Selbstverständlich ermöglichen wir für geflüchtete Menschen […] eine kostenlose Teilnahme an der Tagung.“ Und unter den Organisatoren, Medienpartnern und Förderern finden sich der Bayerische Flüchtlingsrat, Pro Asyl, die Europäische Union, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München, die Petra-Kelly-Stiftung sowie die noch linkere Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ironisch gebrochen

Mancher fällt trotzdem darauf herein. Das reichweitenstarke Wirtschaftsblog «MMnews», das auf Verschwörungstheorien setzt und in dessen Kommentarbereichen sich Rechte und Rassisten austoben dürfen, schreibt: „Was zunächst aussieht wie Satire ist tatsächlich ernst gemeint.“ Einer der Besucher der ISS-Facebookseite, die das Projekt mit einem von fünf Sternen so schlecht wie möglich bewertet haben, schreibt: „Miese Aktion“.

Engagierter Zynismus

Das Impressum der ISS-Website nennt Matthias Weinzierl als Verantwortlichen. Weinzierl ist Geschäftsstellenmitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrates und produziert dessen Magazin „Hinterland“. Er arbeitet auch als freier Grafiker und Künstler. Weinzierls persönliche Internetpräsenz verrät, dass er Erfahrung mit provokanten politischen Formaten hat. 2011 organisierte er den Contest „Bayern sucht das Superlager“ (BSDS), bei dem Bewohner von Erstaufnahme-Einrichtungen ihren Alltag schilderten und um den Titel „Bayerns krassestes Lager“ rangen. Auch BSDS war eine Kooperation des Bayerischen Flüchtlingsrats mit den Münchner Kammerspielen.

Vermutlich Weinzierl zeichnet auch für das schöne Logo der ISS verantwortlich: Ein Kreis wird an drei Stellen von Bumerang-förmigen Linien durchbrochen, die in sein Inneres eindringen. iss2015.eu bietet viele schöne Details, die es dann doch wieder leicht machen, die Seite für voll zu nehmen. Die Akkreditierungsseite spricht die Teilnehmer an als „internationales, interessiertes Fachpublikum, also  Sie“. Schmucke Symbolfotos im Seitenkopf zeigen generische Verkehrsknotenpunkte. Auch politisch korrekt gemachtes Marketing-Sprech fehlt nicht: Das Schleppergewerbe wird als „politische Mobilitätshilfe“ umschrieben. Unter den Veranstaltungen des Kongresses finden sich unter anderem ein Podium über die zunehmende, bedrohliche Kriminalisierung des Gewerbes und ein Connect-Brunch für Austausch und Vernetzung. Die Parodie auf eine Fach-Convention halten die Macher durch.

Aber man braucht nicht auf die Ironie hereinzufallen, um in der Veröffentlichung der ISS Anstößiges zu finden. Auf einem Podium am 16. Oktober vergleichen Experten die Schlepper hinter den aktuellen Fluchtbewegungen mit DDR-Fluchthelfern und mit dem Schweizer Paul Grüninger, der jüdische Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus rettete. Ein Gleichsetzen mit den Schleppern von heute, die sich bereichern, indem sie lebensgefährliche Plätze in überfüllten Booten verkaufen, ist gewagt.

Solche Dreistigkeit stößt Politikern von CDU und CSU auf. Das schreibt der «Spiegel» einer Vorab-Meldung zufolge an diesem Sonnabend. „Angesichts unzähliger toter Kinder, Frauen und Männer in den Fängen von Schleusern ist die Veranstaltung zynisch“, wird Hans-Peter Uhl zitiert. Asylbefürworter könnten kontern, Menschen auf der Flucht vor Krieg und Tod nicht willkommen zu heißen und die Grenzen dicht zu machen sei viel zynischer. Oder der Zynismus der ISS-Macher sei zumindest ein engagierter.

[Update:] Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte der «Süddeutschen Zeitung», die ISS 2015 erscheine eher nicht als ein gelungenes Kulturprojekt. Herrmann ist Experte für die sensible Kommunikation in der Flüchtlingsdebatte. (Das war ironisch.) Ein „Gelingen“ lässt sich freilich nur im Abgleich mit der Zielsetzung des „Kulturprojekts“ messen. Wir unterstellen, dass die Reaktion von Herrmann und seinen Parteikollegen bereits ein Ziel der Initiatoren von ISS 2015 verwirklicht – das der Provokation und Debattenstimulation. In dem Fall wäre das „Kulturprojekt“ schon gelungen, und das drei Wochen vor seinem Stattfinden. [26.09.15 12:05]

Der neue Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal sagte dem «Spiegel», man wolle eine ernsthafte Diskussion führen über die Frage, wie unsere Gesellschaft mit Schleppern und Schleusern umgehen sollte. „Sie würden pauschal kriminalisiert, dabei könnten Flüchtlinge ohne sie kaum nach Europa gelangen.“

Lilienthal scheint gewillt, zu polarisieren. Schon das Kammerspiele-Projekt „Shabbyshabby Apartments“ zum Spielzeitauftakt kam beim eigenen Föderverein nicht gut an.

Künstler Weinzierl und Intendant Lilienthal bereiten mit der „Schlepper- und Schleuser-Tagung“ eine Qualitäts-Provokation vor, die hoffentlich inhaltlich so stark wird, wie es der Marketing-Coup vorab verspricht.

[Update:] Eine dpa-Meldung zum Thema benutzt den «Spiegel»-Artikel als Quelle. Sie wurde von «München TV», «Münchner Merkur», «Focus», «Berliner Morgenpost», «Mittelbayerische», «Passauer Neue Presse», «Radio Charivari», «Neue Presse», «Die Welt» und «Abendzeitung» übernommen. [27.09.15 20:48]


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