«Space Dogs»: Doku über Moskauer Straßenköter und ihre raumfahrenden Vorfahren

Laika, das erste Lebewesen im Weltraum, und die anderen Hunde des russischen Raumfahrtprogramms, waren auf Moskaus Straßen aufgewachsen. Das wussten wir nicht. Auch sind die Bilder, die man uns seit unserer Kindheit immer wieder von den vierbeinigen Kosmonauten gezeigt hat, eher nach Bekömmlichkeit ausgewählt. In Wirklichkeit waren die stolzen Weltraumhunde natürlich Versuchstiere, und zwar im dressierten, drangsalierten, traumatisierten, rasierten und vivisezierten Sinne. Die bisher wenig bis gar nicht gezeigten Bilder der abgekämpften Hunde, die das Glück hatten, lebendig aus dem Training oder sogar aus der Erdumlaufbahn zurückzukehren und erst wieder ausheilen und sich aufpäppeln mussten, strukturieren «Space Dogs» in Kapitel (Archivarbeit: Sergei Kechkin).

Space Dogs

Ein Rudel Straßenköter erkundet Moskau, während wir über Pathos und dokumentarisches Erzählen nachdenken ★★★★☆

Autor: Elsa Kremser, Levin Peter

Kamera: Yunus Roy Imer

Produktion: RAUMZEITFILM Produktion, Elsa Kremser, Levin Peter

Länge: 91 min

«Space Dogs» ist noch bis 24. Mai als Stream beim DOK.fest München 2020 @home zu sehen.


In den längeren Abschnitten dazwischen zeigt der Dokumentarfilm den Alltag eines Rudels Moskauer Straßenköter von heute, vor allem eines jungen Mischlings. Die Kamera folgt dem Alpha mit den guten Zähnen auf Augenhöhe. Manchmal tätscheln Menschen ihn und seine Freunde oder werfen ihnen etwas zum Fressen zu. Die Steady-Cam, die mit den Hunden mithält, das Licht der Moskauer Nacht, die Großstadt, in der Menschen nur eine Statistenrolle spielen – das ist alles verblüffend schön gefilmt (Kamera: Yunus Roy).

Als wäre die Kamera gar nicht da

Der Alpha, der den Film trägt und mit wechselnden Kameraden herumstreunt, ist immer der Fantasievollste und Neugierigste im Trupp. Er spielt, buddelt, schnuppert, stöbert, knabbert. Wir sehen ihn sogar, auf der Straße liegend, schlafen und dabei vom Laufen träumen. Wir gewinnen sie richtig lieb, diese Racker. Dann schlachten zwei von ihnen eine Hauskatze, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht, und noch lange zuckt, während der neugierige Hund mit den schönen Zähnen sie zerlegt.

Das wirklich Erstaunliche an «Space Dogs» ist, in wie vielen Bildern die Protagonisten sich benehmen, als würde kein Mensch mit einer Kamera neben ihnen herjoggen. Dokumentarfilmer bauen auf einen Gewöhnungseffekt: Bevor die Bilder entstehen, die letztendlich für ihren Film taugen, müssen sich die Figuren – in der Regel Menschen – so sehr an die Filmer gewöhnen, dass sie vergessen, dass sie da sind. Nun spielen Straßenhunde hier die Hauptrolle und nicht Menschen: Tiere, die auf der Hut sind und scharfe Sinne haben. Die man als Dokumentarfilmer außerdem nicht einfach anrufen kann um zu fragen: „Wo können wir uns heute treffen?“ Dass es das Material gibt, mit dem «Space Dogs» erzählt, ist ein Wunder.

Einzige menschliche Präsenz im Film ist die Stimme von Alexey Serebyakov. Er erzählt die Geschichte der Kosmo-Hunde sowie anderer Versuchstiere des russischen Weltraumprogramms (Schimpansen, Schildkröten) im Duktus einer allegorischen Legende. Die Schere zwischen seinem getragenen Voice-Over und den profanen bis skurrilen Bildern fügt einen ironischen Zwischenboden in den Film ein. So schockieren uns die kleinen Racker nicht nur, indem sie einer Katze den Hals brechen, sondern auch, indem sie uns über erzählerisches Pathos ins Nachdenken bringen.


«Space Dogs» ist noch bis 24. Mai als Stream beim DOK.fest München 2020 @home zu sehen.

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Ein Kommentar

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