Wo gerade wieder die Welt untergeht: Alan Weismans Sachbuch «The World without Us» unternimmt eine Gedankenreise auf eine Erde, von der alle Menschen auf einen Schlag verschwunden sind. Nicht durch Krieg oder eine Naturkatastrophe, sondern – nur mal angenommen! – von heute auf morgen und ohne, dass andere Lebewesen beeinträchtigt werden.
Was würde passieren? Wie lange würde es dauern, bis unsere Häuser einstürzen? Welche Tier- und Pflanzenarten würden sich erholen? Welche würden recht schnell aussterben ohne den Menschen? Wie lange blieben unsere Denkmäler stehen? Würde sich das Klima erholen? Und was plant die Evolution eigentlich als nächstes?
Weisman stellt diese und viel mehr Fragen, auf die wir gar nicht gekommen wären. Die Antwortversuche von Expertinnen und Experten sind mehr oder weniger Spekulation, enthalten aber jede Menge Expertise (auch Smalltalkwissen) über Naturgeschichte und Technik.
Wir wussten zum Beispiel nicht, dass Edelstahl kein besonders langlebiges Material ist – wenn man langfristig denkt –, während alles aus Bronze und Glas noch in Hunderttausenden von Jahren erhalten sein dürfte. Oder dass den amerikanischen Kontinent früher mal genauso viele Tierarten in Übergröße bewohnt haben wie den afrikanischen: gigantische Bären, Säbelzahntiger und Riesenbiber. (Warum sind sie ausgestorben? Richtig, vermutlich war bereits der prähistorische Mensch ein ziemlicher Umwelt-Killer.)
Und worüber wir uns noch keine Gedanken gemacht hatten: Selbst ein vorbildlich und vorschriftsmäßig heruntergefahrenes Atomkraftwerk, erst recht eines mit einem übervollen Zwischenlager für Altbrennstoffe nebenan, wird früher oder später das große Glühen anfangen und in nukleare Flammen aufgehen, wenn niemand aktiv für Kühlung sorgt. Wir Menschen haben Sorge getragen, dass es auf diesem Planeten auch ohne uns noch lange richtig ungenießbar bleibt.
«The World without Us» führt im Reportagestil mit vielen szenischen Passagen um die Welt. Weisman hat Naturwissenschaftler und Ingenieurinnen ausgefragt, damit sie nach bestem Wissen und Gewissen spekulieren, wie eine Welt ohne Menschen sich entwickeln würde. Manche Exptert*innen haben es leichter, weil sie ohnehin Tag für Tag daran arbeiten, genau diese Folgen zu verhindern: Die New Yorker Metro beispielsweise stünde innerhalb weniger Tage komplett unter Wasser, wenn die Pumpen ausfallen. Nicht leicht zu finden waren für Weisman Orte, an denen die Natur bereits heute für längere Zeit ungestört war: Den Rahmen für seine Recherche bildet ein Besuch im polnisch-weißrussischen Białowieża-Urwald, wo sich zeigt: Je länger ein Wald seine Ruhe hat, desto unerwarteter entwickelt er sich und desto komplexer und reicher wird sein Ökosystem.
Vieles, was auf einer menschenleeren Erde passieren würde, wäre furchteinflößend. Andererseits: Gibt es Furcht auf einem Planeten, auf dem niemand mehr ist, der sich fürchten könnte? Das paradoxe Gefühl, das «The World without Us» bei uns hinterlässt, ist eine besondere Misanthropie: Die Erde ohne Menschen kann eine romantische, idyllische Vorstellung sein. Wenn wir das noch erleben dürften …
Alan Weisman
The World without Us (2008)
Die Welt ohne uns (2009)
Piper Taschenbuch
400 Seiten
12,00 €
Diese Buchbesprechung habe ich zuerst auf goodreads.com gepostet.