Ein eigener Lebensstil
Der neueste Einfall des Theaters der Immoralisten spricht sich jeweils schnell in der Stadt herum. Das Ensemble ist für seine originellen Bühnenbilder bekannt, aber auch für sein überraschendes Programm. In der wirkungsvollen künstlerischen Arbeit stecken viel Herzblut und Kreativität.
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Manuel Kreitmeier und Florian Wetter sind im Himmel. In ihrem Theater trocknet die Farbe. Endlich ist es vom Boden bis zur Decke vollständig weiß. „Wir wollten immer ein weißes Theater“, sagt Wetter. Er und Kreitmeier sind die Geschäftsführer und künstlerischen Leiter des Freiburger „Theater der Immoralisten“. Der weiße Raum macht erst möglich, mit Farbe, Licht und Projektion Stimmungen und Bühnenbilder zu erzeugen. „Außerdem sieht es so mehr wie ein Atelier aus“, sagt Kreitmeier.
Dieser Text entstand im Auftrag der Wall AG und erschien als Leitartikel im «CityMag» (Ausgabe September 2014) der bluespot-App, dort mit Fotos von Markus Herb. |
Während drin die Farbe trocknet, sitzen Kreitmeier und Wetter im Bühnenbild für die Open-Air-Produktion «Ehen werden im Himmel geschlossen» von Walter Hasenclever. Unter einem drei Meter hohen Podest eine dunkle Kammer, das ist die Erde. Auf ihrem Dach steht ein Designersofa vor einem blau-weißen Hintergrund. Das ist der Himmel. Kreitmeier und Wetter sind an diesem Sommerabend für unser Gespräch die Leiter in den Himmel hinauf geklettert.
Ein Theater wird Stadtgespräch
In der Stadt hängen Plakate für die aktuelle Produktion, aber meistens hört man aus Erzählungen vom neuen Stück der „Immoralisten“: „Wir saßen mit den Schauspielern an einem Tisch!“, erzählten die Besucher von Hamlet letzten Winter. Regisseur Kreitmeier hatte das Publikum an einer langen Tafel platziert. Dazwischen saß die dänische Königsfamilie, brüllte sich über den Tisch hinweg an, sprang auf die Tafel und duellierte sich darauf oder warf mit Essen.
„Bis die Idee für die Bühne fertig ist, das ist die schlimmste Phase bei einer neuen Produktion“, sagt Manuel Kreitmeier. „Danach geht alles ganz schnell. Wenn die Bühne logisch ist, dann ist auch für die Schauspieler logisch, wie sie sie nutzen.“
Die „Immoralisten“ bringen in der Regel fünf Produktionen je Spielzeit. Jede läuft für rund acht Wochen von Donnerstag bis Sonnabend. Für vier Wochen wird an den anderen Tagen schon wieder das nächste Stück geprobt. „Das Open-Air ist praktisch“, sagt Kreitmeier. „Wir können nicht nur renovieren, während hier draußen die Bühne stehen bleibt, sondern wir können auch proben, ohne zwischen der aktuellen Bühne und der Probenbühne hin und her zu bauen.“
Das ist auch die Antwort auf die Frage, warum Kreitmeier und Wetter ihre eigene Spielstätte haben:„Das ist die einzige Chance für ein freies Ensemble, wenn es hauptberuflich Theater machen will“, sagt Wetter. Die „Immoralisten“ haben 2001 als studentisches Theater angefangen. „Wir hatten irgendwie mehr Bock auf Theater als auf Studium“, sagt Wetter, der nach eigener Darstellung zum Schauspielern gezwungen wurde. Er ist eigentlich Musiker. 2001 sprang er noch widerwillig für eine ausgefallene Besetzung ein, mittlerweile ist er so etwas wie der Stammbösewicht in den Produktionen des Theaters.
Ohne eigene Spielstätte geht es nicht
Nach der Uni machten Kreitmeier und er mit dem Ensemble weiter, allerdings nach wie vor ohne eigene Räume. Einen Saal mieten oder ein Gastspiel geben, das geht, aber nie für mehr als fünf Aufführungen. „Dann hat man so viel Energie rein gesteckt und verbrät sie für wenige Abende“, sagt Kreitmeier. Deswegen mieteten die „Immoralisten“ 2010 das ehemalige Lager- und Werkstattgebäude auf dem Stühlinger-Gewerbehof an. Jetzt zeigen sie ein Stück um die 25 Mal, bevor die nächste Produktion Premiere hat.
Und ihr Haus entspricht nach einiger Arbeit endlich ihren Vorstellungen von einem Werkstatt-Atelier-Theater. „Es war ein ziemlicher Act, das auszubauen“, sagt Wetter. Sie mussten zwei Hallen zu einer verbinden, bröckelnde Wände ausbessern und sich mit der relativ niedrigen Decke arrangieren. Bedeutet dieser Raum nicht mehr Einschränkung als Freiheit? „Auf keinen Fall“, sagt Kreitmeier. „Der Raum hat eine Geschichte und eine Aura. Dank der öffentlichen Förderung konnten wir zuletzt die Traversen einbauen, die nötig waren, um überall im Raum richtig zu beleuchten.“
Das „Theater der Immoralisten“ erhielt in den vergangenen Jahren zusätzlich zu einzelnen Projektförderungen so genannte Konzeptionsförderung sowohl von der Stadt Freiburg als auch vom Land Baden-Württemberg. Die Konzeptionsförderung durch die Stadt wird jährlich über eine Fachjury vergeben. Achim Könneke, Direktor des Freiburger Kulturamts bemerkt, dass die „Immoralisten“ seit 2010 Jahr für Jahr eine Förderung erlangen konnten. „Das spricht für die Qualität der ‚Immoralisten‘, die mit den meist originell hervorstechenden Inszenierungen eine besonders überzeugende Bereicherung der Freiburger Theaterlandschaft darstellen“, so Könneke.
Bereicherung der Theaterlandschaft, aber keine Konkurrenz um Publikum. „Wir haben mittlerweile ein Stammpublikum, das sich alles von uns anschaut“, sagt Manuel Kreitmeier. Florian Wetter findet: „Freiburg ist ein gutes Pflaster für unsere Art Theater: Es gibt eine große Sehnsucht nach urbaner Kultur und wir orientieren uns sehr an den Fringe-Theatern in großen Städten.“ Auch hätten die anderen freien Ensemble und das Stadttheater völlig andere Profile. Kreitmeier glaubt: „Wer gutes Theater sieht, bekommt eher Lust auf mehr davon und geht dann auch in andere Häuser.“ Nicht unwahrscheinlich, dass die „Immoralisten“ mit ihrem Engagement einige Freiburger für Theater begeistert haben.
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