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Freiwehr-Bote* vom 4. April

* Der »Freiwehr-Bote« ist keine echte Zeitung. Freiwehr ist keine echte Stadt.

Jurassic Park – Nur mit Pflanzen

Gewächse aus der Dinosaurierzeit überwuchern die Urwaldinsel

Freiwehr. (mjeu/majo)• Sie ist eine der schönsten Grünflächen der Stadt – und jetzt ist sie in tödlicher Gefahr: Die so genannte Urwaldinsel, ein dicht bewachsenes Fluss-Eiland in der Langsee, auf der der westlichste Pfeiler der Sternbrücke steht. Das städtische Gartenbau-und-Friedgrün-Amt hat vor mehr als 80 Jahren beschlossen, die Pflanzen auf der Insel ihrem natürlichen Wachstum zu überlassen und nur die schmalen Wege durch den dichten Urwald etwas zu pflegen. Wenn man den Treppenaufgang im Brückenpfeiler benutzt um die Insel zu betreten, wird man dementsprechend auch durch Schilder gewarnt, dass man hier auf eigene Gefahr spazieren geht und mit Astbruch zu rechnen sei.

Tödlicher Kaktus

Cactus bombastus carnivorus meyer-rumsfeldus: Mindestens eine Katze in der Blüte verschwunden

In großer Gefahr sind nun Brücke und Insel selbst: Drei bislang weltweit unbekannte, prähistorische Pflanzen gefährden das Wäldchen und die Brücke. Und die Geschichte, wie die Pflanzen ins Leben gekommen sind, nachdem sie Millionen Jahre lang nicht auf der Erde gewachsen sind, erinnert an den Film »Jurassic Park«.

Rainer Maria Meyer-Rumsfeld, Stadtgärtnermeister und um ein Haar promovierter Biologe, ist für die Pflege der Urwaldinsel verantwortlich. Er hatte eigentlich eine Laufbahn an der Universität angestrebt und es sah auch gut für ihn aus, immerhin war er mit der Tochter des Rektors verlobt. Aber dann hat er sie geschwängert und musste sich in der freien Wirtschaft nach Arbeit umsehen. Heute spricht er davon mit viel weniger Bitterkeit. »Wer weiß«, sagt er, »hätte ich die akademische Laufbahn verfolgt, hätte ich vielleicht niemals neue Spezies entdecken dürfen und nach mir benennen.« Dass ihm dieses Glück ausgerechnet als Stadtgärtner wiederfahren würde, hätte er allerdings auch nie für möglich gehalten.

Schmarotzerbusch

Mitelia marina giganta meyer-rumsfelda: Ein gefährlicher Parasit

Jetzt breitet sich auf der Urwaldinsel ein parasitärer Busch mit dicken, öligen Blättern aus, der alle anderen Gewächse platt macht. Daneben ist eine Pflanze aufgetaucht, die mit ihren großen Blättern alle Kräuter und Gräser in ewigen Schatten stellt. Und innerhalb von zweieinhalb Wochen ist ein gigantischer fleischfressender Kaktus in den Himmel gewachsen. Würde man seine giftigen Stacheln abbrechen, könnte man damit Baseball spielen. Haustiere werden in seinen nach Mäusen riechenden Blüten bereits vermisst. Mehrere Hunde sollen wie von Sinnen von der Brücke direkt in die trichterförmigen Kelche gesprungen sein. Für den Fall einer vermissten Katze gibt es ein verwackeltes Handyvideo als Beweis. In der nächsten Woche will ein ABC-Abwehr-Trupp der Feuerwehr Bölge in eine der Kaktusblüten klettern und der Sache auf den Grund gehen.

Das erstaunlichste aber ist: Alle diese Pflanzen haben noch niemals irgendwo auf diesem Planeten existiert, seit es Menschen gibt. In einem Zeitalter, als Dinosaurier die Erde beherrschten und Säugetiere wahrscheinlich noch keine Rolle spielten, sind sie zuletzt gewachsen. Versteinerte Samen waren bis vor kurzem das einzige, was von ihnen übrig war. Janus K., ein Biologiestudent an der örtlichen Universität, hat die mikroskopischen Versteinerungen im letzten Jahr einem Skelett-Relief entnommen, das in Afrika ausgegraben worden war und seither im Archiv der Universität auf wissenschaftliche Begutachtung wartet. Der Gipsstein war so feinkörnig, dass K. große Teile der DNA aus dem versteinerten Inneren der Samen sichtbar machen konnte. Für die zwölfseitige Arbeit über diese Technik hat er sein Grundstudium mit einer 2 minus abgeschlossen. Aus jugendlichem Forschereifer ging er aber noch weiter: Er rekreierte diese abgebildete DNA aus organischen Stoffen im Labor und füllte Lücken im genetischen Code mit DNA von heutigen Pflanzen auf. Das Resultat: funktionierende Samen, aus denen er Setzlinge zog. Und er wollte sie heimlich in die Natur bringen, um sie wachsen zu sehen. In seinem Studiverzeichnis-Profil schreibt er über seine Pläne, die er als Performance-Kunst sah.

Urwaldsamen

Die riesige Mitelia verspritzt ihren Samen, Keimlinge wachsen dann überall auf den getroffenen Pflanzen

Weil er auf dem Sprung war um ein Praktikum im Regenwald des Amazonas zu machen, bat er im Februar einen Freund, sich um seine Setzlinge zu kümmern. K. pflanzte sie im Dickicht der Urwaldinsel nebeneinander und instruierte Paul P., seinen Kommilitonen, sie gegebenenfalls heimlich zu gießen, wenn das Frühjahr sich als trocken herausstellen sollte. P. hatte nicht viel Arbeit, wie wir wissen, regnete es den ganzen Frühling über ausgiebig. P. machte sich aber die Mühe, Ableger der drei ersten Pflanzen eigenhändig in den Boden zu stecken.

Soweit dieser Journalist recherchieren konnte, erforscht Janus K. im Gefolge eines Anthropologen die Übertragbarkeit des soziologischen Modells der sozialen Milieus in der Bundesrepublik auf einen Waldmenschen-Stamm. (Zum Beispiel: Welche Gemeinsamkeiten hat das DDR-Milieu in der BRD mit dem Inktu-Milieu der Amazonas-Pygmäen. Inktu steht für »Die, die auf der anderen Seite des Flusses leben, wo keine Batate wachsen.«) Aus K.s Blog, in dem er begeistert über die tägliche Feldforschung berichtet, geht nicht hervor, ob er von der Aufregung in seiner Heimatstadt um sein Feierabend-Experiment überhaupt schon gehört hat. Wenn er es erfährt, ist fraglich, ob er aus seinem Ferienpraktikum überhaupt zurückkehren will. Paul P. wurde am Donnerstag von einer aufgebrachten Menge militanter Gegner von Gen-Manipulation in seiner WG bedroht. »Dabei versteh’ ich gar nichts von Genen«, sagt er, »ich studier’ doch bloß Geschichte!«

Stadtgärtner Meyer-Rumsfeld ist hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für die neuen Spezies und Abscheu gegen den pflanzlichen Vandalismus, wie er es nennt. Was man unternehmen sollte? »Aufheben und erforschen sollte man die Pflanzen schon. Aber nur in Formaldehyd! Die gehören alle weg-geext und herausgerissen.« Die Pflanzen auch nur zurückzuschneiden widerspräche aber der 80 Jahre alten Naherholungs-Satzung. Rührt Meyer-Rumsfeld eines der Gewächse an, macht er sich strafbar. Sein Amt hat den Gemeinderat um eine außerordentliche Krisensitzung zwecks Abstimmung über eine Änderung der Grünflächen-Satzung gebeten. Die nächste Krisensitzung sei aber erst für nach der Sommerpause terminiert, erhielt er zur Antwort, das sei im Oktober. »In fünf Monaten ist es aber schon zu spät!«, mahnt der Gärtner. »Dann ist alles Leben auf dieser Insel erstickt. – Und die Pflanzen haben sich vielleicht über die ganze Stadt ausgebreitet.«

Ein möglicher Weg, sich zumindest des Riesenkaktus zu entledigen, besteht in der Gefahr für Mensch und Umwelt. »Wir wissen gar nichts über die Statik dieser Pflanze«, so Meyer-Rumsfeld. »Er könnte jederzeit auf die Brücke stürzen. Dann gibt es viele Tote.« Außerdem wird das Gift, das aus seinen Stacheln in die Langsee tropft, für ein Fischsterben stromabwärts verantwortlich gemacht.

* Der »Freiwehr-Bote« ist keine echte Zeitung. Freiwehr ist keine echte Stadt.

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