Gedrucktes: Die große Samstagabendshow•

»journal d’ami« Ausgabe 1 (Herbst/Winter 2000)
So stolz man als Weimarer auf seine Stadt sein darf, so viel sie einem auch mitgibt auf kulturellem Gebiet: Richtig was Weltbewegendes ist hier selten los, wenn wir nicht gerade Kulturstadtjahr haben. Richtig große Shows wie etwa »Wetten, dass…?« oder Festivals wie »The Dome« kommen bestenfalls bis auf rund 20 Minuten Zugfahrt an Weimar heran. Erfurt. Aber mal ehrlich, wo sollte denn eine Veranstaltung von diesem Format schon in Weimar untergebracht werden? Eben. Weimar-Nord.
Dort wurde zum ersten Mal in einem Zelt vom Kinder- und Jugendzirkus Tasifan »Weimar privat – Die Samstag-Abend-Show« produziert. Scheinbares Motto: Wenn Gottschalk und die anderen nicht zu uns kommen, machen wir das eben selber (und besser).
Das besondere an »Weimar privat« war aber, dass es eben nicht für ein Millionenpublikum in die Welt hinaus ausgestrahlt wurde und ein winziger Bruchteil der Zuschauermasse live dabei war, sondern dass die Show in erster Linie für ein livehaftiges Publikum veranstaltet wurde. Ob und wo und wann genau man die gemachte Aufzeichnung ausstrahlen würde, war an diesem Tag noch gar nicht klar.
Im Mittelpunkt des Programmes stand das Erleben der typischen Atmosphäre bei einer großen Samstagabend-TV-Show. Das fing schon beim Anheizer (Dirk Wendelmuth) an, der Stimmung machte und dem Publikum verklickerte, bei welchen spezifischen Zeichen es zu klatschen hätte. Fast so pünktlich wie versprochen ging dann die eigentliche Show los, eröffnet von den beiden Moderatoren Helfried Schmidt vom mon ami und Sabrina Zwach vom Reithaus. In der Manege, um die zwei bis drei Bankreihen standen, gab es eine Ehrenecke, die an »TV total« erinnerte, einen Currywurstbudentisch mit Barhockern für die Interviews und einen mittleren Bereich, in dem jeweils wechselnde Kulissen auf- und abgebaut wurden. So die Rampe für die Eröffnungsnummer, Skateboard- und Kunstrad-Artisten, ein Baumstamm, in den verschiedene Interviewgäste Nägel einzuschlagen hatten (der verehrte Herr Oberbürgermeister Germer ließ keinen einzigen gerade oder versenkte auch nur einen im Holz). Wenn dieser Teil frei gelassen wurde, jonglierten hier die Tasifans oder tanzten die Paradiesischen. Während aller Umbauten auf der Bühne oder Besetzungswechsel auf den Stühlen spielten live »Die Ilmspatzen« in Late-Night-Art. Als Gäste der Sendung wurden der schon genannte Oberbürgermeister Volkhardt Germer geladen, die Ausländerbeauftragte der Stadt Weimar, Helena Mühe, der Leiter des Weimar-Nordischen EXPO-Projekts Carsten Meyer, die Weimarer Handwerkerkarneval-Büttenprominente und geniale Stadtführerin Frau Henze, Viktor Hergenreder und der Clown Walter Hermann, die sich alle der Frage nach ihrer persönlichen Deutung des Wortes »Heimat« stellen mussten. Zur Auseinandersetzung mit dem EXPO-Motto Mensch, Natur, Technik mussten drei Menschen (OB Germer, Frau Henze und eine »Freiwillige« aus dem Publikum, die zufällig Mitglied des Improvisationstheaters war) in ein großes Stück Natur (einen Baumstamm) mit viel High-Tech (Hämmer) noch mehr Technik (Nägel) reinhauen. Des OBs Ergebnis ist oben schon angedeutet worden, die anderen beiden lieferten ganz Passables ab.
Auch Filmbeiträge wurden gezeigt, so ein Bericht über die psychopathisch anmutenden zweiten Persönlichkeiten der beiden Moderatoren oder »Goethe durch die Bratwurst gesprochen«. Alles in Allem war »Weimar privat« richtig gute Unterhaltung, die nur die üblichen Pannen aufwies, mit denen man einfach rechnen muss, wenn man etwas zum ersten Mal macht. Aber: Es wird Fortsetzungen geben, die zu besuchen man nur jedem empfehlen kann.
majo
• Nächsten Dienstag in Gedrucktes: »Weimar privat« mit Routine; ein Review aus der Thüringischen Landeszeitung.
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