Interview mit dem Typ,
der nie spurtreu abbiegt
.
Sie hätten gerade beinahe einen Unfall gebaut. Wie fühlen Sie sich?
Wie soll ich mich fühlen?
Hatten Sie Angst?
(Lacht.) Ich hatte Angst um mein Auto. Das hätte gewaltig geknirscht.
Sonst keine Gefühle? Weiche Knie?
Schauen Sie, wenn Sie von brenzligen Situationen weiche Knie kriegen, sind Sie auf der Straße falsch.
Der Größere gewinnt?
Nicht der Größere. Aber Sie müssen damit rechnen, dass es manchmal knapp wird. Und dann sind Sie besser der bessere Fahrer. Haben Ihr Fahrzeug im Griff. Lassen sich nicht aus der Ruhe bringen.
Sie wurden angehupt, mussten scharf abbremsen, Ihnen wurde ein Vogel gezeigt. Man kann sich nur ausmalen, was der Fahrer des Lieferwagens hinter der Scheibe geschimpft hat.
Ja, das kann ich mir denken. Gezetert wird er haben.
Und bei so etwas bleiben Sie ruhig?
Es gibt eine Menge Spinner da draußen. Die denken, sie wären im Recht. Wenn man sich von jedem aus der Ruhe bringen ließe, würde man ja vor Angst gar nicht mehr Auto fahren.
Halten Sie sich für einen guten Autofahrer?
Ja.
… ?
Ich denke schon! So viel wie ich im Jahr fahre – und keinen selbstverschuldeten Unfall.
Wirklich?
Naja, nicht im bürokratischen Sinne. Auf dem Papier hat man ja immer eine Teilschuld. Das müssen die so machen, das ist normales Prozedere. Man war ja nicht schnell genug weg. (Lacht.) Und wenn man allein ist, also kein anderes Auto ist da, und man fliegt aus der Kurve wegen nassen Laubs und überschlägt sich, dann ist man auch auf dem Papier schuld. Das Laub kann man ja nicht verknacken. Aber das ist nur bürokratisch.
Sie wirkten im ersten Moment vorhin nicht so ruhig. Im Auto haben Sie auch gezetert, haben Zeichen gemacht und vor sich hin geredet. Was haben Sie denn dem anderen Autofahrer gesagt?
Das möchte ich jetzt nicht im Internet sagen. Es ist mir nicht recht, dass das da drin steht.
Kleines Quiz?
Puh, das ist ja wie in der Fahrschule.
Erst mal noch ohne richtig und falsch. Sie haben gesagt, Sie halten sich für einen guten Autofahrer. Frage: Ist der selbstbewusste Autofahrer der bessere Autofahrer oder der unsichere, der seinen Fahrstil ständig hinterfragt und überlegt, ob er etwas besser machen kann?
Unsichere Autofahrer sind gefährlich. Für die muss man immer mitdenken.
Vorhin in der Situation, fühlten Sie sich da im Recht?
Natürlich. Der wäre mir fast seitlich rein gefahren.
Sie haben doch die Spur gewechselt beim Abbiegen.
Ja.
Das heißt, Sie wären ihm fast rein gefahren und nicht anders rum.
Das glaube ich nicht. Der hätte ja nicht neben mir fahren müssen. In meinem toten Winkel noch dazu. Das weiß man doch.
Er ist nur auf seiner Spur abgebogen. Sie dagegen sind durch die Kurve gefahren, als gäbe es keine Spuren.
Habe ich Ihnen etwas getan?
Noch eine Quizfrage: Sie biegen rechts ab. In der Straße rechts wollen Fußgänger die Fahrbahn überqueren. Die Fußgänger haben Vorrang, Ihr Auto muss warten. Richtig oder falsch?
Falsch. Ich bin ein Auto. Ich bin ja auf der Straße.
Falsch. Die Fußgänger haben Vorrang.
Das glaube ich nicht.
Das ist ein Gesetz. Und Sie hätten es in der Fahrschule lernen können.
Ich gehe jetzt.
Gut. Wir haben sowieso keine Zeit mehr.
Ich hoffe, dass wir uns nie auf der Straße begegnen. (Knallt die Tür. Durch die Glastür ist zu sehen, dass er im Weggehen mit dem Kopf schüttelt, gestikuliert und schimpft.)
Auch noch:
- ADAC-Blog: Zehn knifflige Situationen
- Straßenverkehrsordnung: Abbiegen
- David-Foster-Wallace-Bewältigung: «Infinite Jest»-Logbuch
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