Richtigstellung

„Vorlaute und altkluge Töne“

C. U. Wiesner

C. U. Wiesner • Quelle: «Spuk von Draußen» Folge 1, DEFA 1987. DVD von Icestorm. © Deutsches Rundfunk-Archiv

Am 31. März 2009 veröffentlichte die «Berliner Zeitung» meine Sprachglosse über das Wort „verfickt“. Bis zu dem Zeitpunkt war ich mir selbst sehr sicher, das Wort in den Sprachschatz der Deutschen eingeführt zu haben. Ich verteidigte diese Position (und im Zusammenhang damit mein Recht als Urheber) polemisch mit einiger Vehemenz.

Heute darf ich mit einem neu gewonnenen Gefühl von Bescheidenheit eingestehen: ich bin nicht der Erfinder von „verfickt“. Mindestens eine frühere Verwendung des Wortes konnte mir der Berliner Autor C. U. Wiesner in seinem eigenen literarischen Werk beweisen. Seine Gegendarstellung sandte er mir wie in dem Artikel erbeten per E-Mail an verfickt@martinjost.eu. Im Folgenden gebe ich seine Erwiderung mit seiner freundlichen Erlaubnis im vollen Wortlaut wieder.

Im Anfang seines Schreibens bezieht sich der Autor auf meine Nachfrage, nachdem seine ursprüngliche E-Mail mich durch eine Panne nur in Fragmenten erreicht hatte.

Berlin • C. U. Wiesner • 8. April 2009

Sehr geehrter Herr Jost,

danke für Ihre Post. Zunächst zwei Entschuldigungen, einmal für den verstümmelten Text; es gab, wie Sie vermuten, eine technische Panne. Ich versuche, sie zu beheben, indem ich Ihnen den vollständigen Text zustelle. Zum anderen für das, was Sie als herablassenden Ton empfanden. Sie müssen wissen, dass mein alter Freund Klemens Klintholm, der keinerlei Beziehung zu zeitgemäßen Medien der Kommunikation pflegt, mich bat, Ihnen auf diesem, ihm selber nicht zugänglichen Wege, seine Meinung zu Ihrem Artikel zu übermitteln.

Klemens Klintholm oder Klingsporn, wie er vor seiner Adoption hieß, hat in seinem Leben so viele Höhen und Tiefen durchmessen, dass er zuweilen an leichtem Realitätsverlust leidet, und alles was mit seinen Erlebnissen auf Thorland zusammenhängt, löst in ihm schmerzliche Empfindungen aus, selbst wenn es um so eine an sich lächerliche Vokabel wie verf… geht.

Es folgt sein Brief an Sie:

Sehr geehrter Herr Jost,

nicht ohne leichtes Befremden las ich in der Berliner Zeitung vom 31. März Ihren Beitrag »Mein Fucking Urheberrecht«.

Vorlaute und altkluge Töne waren seit eh und je ein Privileg der jungen Generation. Schon J. W. Goethe sagte: Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort. Je nun, lieber junger Freund, es dauert mich zwar in der Seele, dass ich Sie vom Sockel Ihrer sprachlichen Invention stürzen muss, aber die mir angeborene Wahrheitsliebe lässt mir keinen anderen Weg offen. Seis drum: Bitte, behaupten Sie  niemals wieder – weder in schriftlicher noch in sonstiger Form – Sie seien der Erfinder des Begriffs Verfickt! Sie dürften wissen, welche entsetzlichen Folgen auf Plagiatoren bei einem Prozess lauern.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wer den zur Rede stehenden Begriff tatsächlich geprägt hat. Hingegen kann ich Ihnen hieb- und stichfest beweisen, dass ihn schon 1885 der thorländische Oberbefehlshaber Admiral Lars Blystamp verwendet hat. Ich selber lernte den Admiral auf meiner unfreiwilligen Reise nach Thorland hundert Jahre später kennen und leider auch fürchten. Er war eine sehr widerspruchsvolle Persönlichkeit, einerseits ein Mensch von musischer Bildung, mit großen Verdiensten zum Beispiel um die Militärmusik, zum anderen ein machtgeiler Karrierist, der, vor allem unter Alkoholeinfluß, ein ungemein vulgäres Wesen in Haltung und Ausdrucksweise an den Tag zu legen pflegte. Das Adjektiv verfickt gebrauchte er gern und häufig für Personen oder Gegenstände, die sich ihm vermeintlich oder tatsächlich in den Weg stellten.

Während ich Ihnen dies schreibe, spüre ich, wie mein anfänglicher Verdruss gegen Sie dahinschwindet. Was hätte ich davon, das mögliche Urheberrecht eines widerlichen Schlagetots gegen einen vermutlich frischfröhlichen Vertreter der schreibenden Zunft unserer Tage zu verteidigen? Er selber kann keine rechtlichen Schritte mehr gegen Sie unternehmen, und von mir oder gar Herrn Wiesner haben Sie nichts zu befürchten. Ich habe nur einen bescheidenen Wunsch an Sie: Seien Sie hinfort behutsamer mit unbewiesenen kühnen Behauptungen!

Ich wünsche Ihnen, auch im persönlichen Leben, alles Gute und viele originelle Ideen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Klemens Klintholm


Lieber Herr Jost,

da ich, zusammen mit Herrn Dr. Egon Schachtschneider, 1989 Klemens Klintholms Report unter dem Titel «Die Geister von Thorland» herausgegeben habe, bin ich in der Lage, seine Feststellungen zu bekräftigen. Sollten Sie noch Rückfragen haben, so will ich diese gern an Klemens K. weiterleiten oder sie im Rahmen meines Wissensstandes selber beantworten. Leider ist das Buch schon lange vergriffen. Wenn man Glück hat, taucht es antiquarisch ab und an bei Amazon auf. In der Hoffnung, dass nun alle Missverständnisse bereinigt sind, wünsche ich Ihnen unverfickte und fröhliche Ostertage.

Bestens

C.U. Wiesner


Auch noch:

2 Kommentare

Eingeordnet unter 05 Wochenende (FR), 06 Martin Josts Kulturkonsum, Blog-Exklusiv, In eigener Sache, Ungedrucktes, Wortkritik

2 Antworten zu “Richtigstellung

  1. jagoda

    das ist sehr sehr schön.

    Gefällt 1 Person

  2. Pingback: Mein fucking Urheberrecht | martinJost.eu

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