Gegen gegen Lebkuchen

Dann esst
sie halt nicht,
zum Kuckuck!

Freiburg • martinJost.eu


Liebe andere Menschen,

ich wende mich heute an euch, weil mir etwas auf dem Herzen liegt. Ich wollte es euch schon immer mal sagen, aber normalerweise übertönt ihr mich und brüllt mich nieder. Das ist jedes Jahr so. Diesmal möchte ich euch zuvor kommen.

Es ist bald wieder Ende August. Wisst ihr, was das heißt? Das heißt, es gibt bald wieder Zimtsterne, Nikoläuse und Lebkuchen im Edeka. Reflexartig werden einige von euch sagen: „Das wird ja jedes Jahr früher! Das soll aufhören! Macht einem die ganze Stimmung kaputt!“

Und ich rufe euch zu: Dann fresst sie halt nicht, verfickt nochmal!

Mein letztes Stück.

Es tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Es ist nur so, dass mir das Thema eine Menge bedeutet und mir auch sehr nahe geht. Weihnachten ist für mich das Schönste am Jahr. Durch die Geldmache, durch die Vereinnahmung des Festes und auch durch das laute Gezeter eures harten Zynismus hindurch kann ich die Glöckchen der ursprünglichen Idee von Weihnachten hören: Es ist das Fest, in dem wir den Familienzusammenhalt feiern und uns daran erinnern, welche Menschen wirklich für uns da sind, wenn die Kacke am Dampfen ist. Wenn wir uns bedanken für die Menschen, die uns der Zufall auf unsere Lebensreise mitgegeben hat und die wir auf dem freien Freundschaftsmarkt nie kennen gelernt hätten. Und wo wir unsere Liebe mit Geschenken zeigen.

Der Geist der Weihnacht

Weihnachten ist aber auch das Fest, an dem wir uns für das zurück liegende Jahr belohnen. Und an dem wir Bilanz ziehen, gnädig zu uns sind, uns konsolidieren und Pläne auf ein Neues machen.

Ich verbinde nur Gutes mit Weihnachten. Besonders das Klima. Der Sommer hat es nie in die Top-Ten meiner Lieblingsjahreszeiten geschafft. Im Sommer träume ich von Schnee. Ich muss mich schließlich irgendwie von Schwüle, Lethargie, Insekten, Hautkrebs, Allergien, dem allgegenwärtigen fauligen Gestank und von durchwachten lauten Nächten ablenken.

Manchmal höre ich an schwülen Augustnachmittagen Weihnachtsschallplatten um mich abzukühlen. Der Geist der Weihnacht – eine Botschaft von Frieden und Wertschätzung für alle Menschen – könnte uns sowieso gern öfter umwehen. Aber nicht nur, weil sie die verkörperte Feier des Friedens sind, möchte ich das ganze Jahr über Milchschokoladen-Hohlfiguren essen dürfen. Es ist auch so, dass die Lebkuchen mit Schokoladenhülle namens „Herzen, Sterne, Brezeln“ mit Abstand meine Lieblingssüßigkeit von allen Süßigkeiten sind. Mehr als ein halbes Jahr pro Jahr muss ich auf sie verzichten. Wie würdet ihr das denn finden? Ist das die freiheitliche Gesellschaft, die sich Gleichberechtigung und Minderheitenschutz auf ihre Fahnen geschrieben hat?

Ossi im Ärmel

November 1989: Mit Kerzen für Lebkuchen das ganze Jahr (und Sahnejoghurt). © Klaus Bergmann. Mit freundlicher Genehmigung des Fotografen.

Und um auch die Ossi-Karte auszuspielen: Ich bin damals, mit meinen fünf Jahren, nicht gegen Diktatur, Misswirtschaft, Bespitzelung und Unterdrückung auf die Straße gegangen und habe die Mauer umgeschubst, um jetzt in einer so genannten „freien“ Marktwirtschaft zu leben, die ihre Regale Monat für Monat künstlich leer hält wie bei uns früher mit dem Fünf-Jahres-Plan!

Was habt ihr denn für Argumente? Kommt, lasst mal hören!

Vermarktung? Da will jemand mit Weihnachten Geld verdienen? – Ich bitte euch! Das kann man doch keinem vorwerfen! Wenn es verboten wäre, mit Weihnachten Geld zu machen, könntet ihr zusehen, was ihr an Heiligabend auf dem Teller habt. Der Kapitalismus hat gesiegt, die Diskussion ist zu Ende.

Ein bisschen Exerzitium täte uns ganz gut? Für die Einheit von Körper, Geist und Seele sollten wir uns wenigstens im Sommer in Entsagung üben? – Ich verbiete ja keinem, zu seinem Yoga mit Räucherstäbchen zu gehen. Und auch vor den Freunden der Piemont-Kirsche habe ich höchsten Respekt, dass sie nicht jeden Sommer auf die Straße gehen. Aber ich bin da Hedonist. Das ist doch meine Sache. Diät machen kann ich immer noch, wenn ich tot bin.

Das Fest sei nichts Besonderes mehr? Weihnachten durch das ganze Jahr zu ziehen würde uns für seine metaphysische Bedeutung stumpf machen? – Jetzt kommt schon! Wir halten doch auch das ganze Jahr über die Menschenrechte hoch. Und den Recycling-Gedanken. Und die Achtsamkeit gegen den Sexismus. Und, werden wir dadurch etwa nachlässiger in ihrer Wertschätzung?

Auch Christen dürfen Weihnachten feiern

Überhaupt müssen wir auf der Hut sein vor der versuchten Vereinnahmung der Idee von Weihnachten durch Kräfte, die das Fest für ihre Zwecke und für ihre Ideologie missbrauchen wollen. Allen voran die Kirchen und andere Gutmenschentümler. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Christen; ich bin sogar der Meinung, dass sie Weihnachten mitfeiern dürfen. Sie sind ja schließlich für die Musik zuständig.

Meine Lieben! Es ist doch alles nicht so wild. Warum müssen wir denn eine Opposition konstruieren, wo wir eigentlich auf derselben Seite stehen. „Alle Menschen werden Brüder“, sagt der Schwabe in Weimar und wir alle halten doch den Geist der Weihnacht hoch. Ich mache das eben ein paar Monate länger. Und ich brauche wirklich bald mal wieder „Herzen, Sterne, Brezeln“. Versteht ihr? Ich brauche es einfach. Kuckt mal, meine Hände, die zittern. Ich sabbere ein bisschen. Und ich bin leicht auf die Palme zu bringen. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, bis es im Discounter wieder Paletten voller Weihnachtssachen gibt. Ich brauch es wirklich!


Polemik ist gut für dich!

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