Gefangenenaustausch

Als ich noch in der Politik war, waren Aprilscherze nicht nur von der Presse, sondern auch vonseiten der kommunalpolitischen Fraktionen eine gute Tradition. Neben der Forderung von Junges Freiburg im Wahlkampf 2009 nach öffentlichen Gebetshäuschen erinnere ich mich auch an ein Geständnis der Jungen Union per Pressemitteilung, sie habe die toten Fledermäuse unter den umstrittenen Windrädern auf Freiburger Gemarkung ausgelegt. Ja, das war noch eine Zeit für harte Typen. Politischer Humor war damals deftig.

Am 1. April 2008 verschickte die Wählervereinigung Junges Freiburg, damals wie heute in Fraktionsgemeinschaft mit Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, folgende Stellungnahme über ihren Presseverteiler:

Gehen jetzt Grüne
zu Junges Freiburg?

Wählervereinigung fordert Stadträte
Stein und McCabe zum Parteiwechsel auf

FREIBURG. (jf/majo) „Wir werben nachdrücklich um Coinneach McCabe und Monika Stein als Junges-Freiburg Mitglieder“, bestätigt Martin Jost vom Vorstand von Junges Freiburg Äußerungen, die in letzter Zeit häufiger  kolportiert wurden.

Die junge Wählergemeinschaft hat die Grünen, mit denen sie in einer Fraktionsgemeinschaft Freiburg regiert, aufgefordert, ihnen mindestens ein Mandat zurückzugeben, nachdem der Wählervereinigung durch die viel größere Partei Stadtrat Florian Braune abgeworben wurde. Besonders hofiert durch Junges Freiburg fühlen sich Monika Stein und Coinneach McCabe, die sowohl altersmäßig als auch was die Dienstzeit angeht jüngsten grünen Stadträte.

Stein und McCabe: „Wir denken darüber nach“

„Wir haben inoffizielle Gespräche geführt“, beschreibt Junges-Freiburg-Stadtrat Sebastian Müller den Stand der Verhandlungen. „Ich habe Coinneach und Monika am Rande einer gemeinsamen Veranstaltung gefragt – wir arbeiten in sehr vielen Projekten zusammen – und sie haben bis jetzt gesagt, sie denken darüber nach.“

Ob Junges Freiburg beide Stadträte von den Grünen mitsamt ihren Stadtratsmandaten bei sich aufnehmen würde oder  ob die Wahl letztlich auf einen von beiden fällt, ist zur Zeit noch offen. Müller: „Wir haben noch nicht über alle Details gesprochen, wie gesagt, die Verhandlungen fanden bisher nebenher statt.“

Kassenwart Jost: „Wir haben uns das gut überlegt“

Auch Martin Jost beschreibt die bisherige Zusammenarbeit mit Stein und McCabe als besonders gut. „Conny und Moni sind oft auf einer Wellenlänge mit uns und haben zusammen mit Sebastian [Müller] und – in der guten alten Zeit – Florian [Braune] den jugendlichen Blickwinkel in der Gesamtfraktion vertreten.“

Will Junges Freiburg aber vor allem McCabe oder Stein bei sich aufnehmen, weil sie so jung sind? „Alter“, antwortet Jost, „ist nicht in erster Linie ein Hinderungsgrund. Wir haben ja auch Florian Braune bis weit über das Alter hinaus unterstützt, in dem er ordentliches JF-Mitglied sein durfte.“

„Aber“, betont Jost weiter, „viele von den herkömmlichen Grünen entstammen einer radikaleren Generation. Wir befürchten, dass für Charaktere wie die Fraktionsvorsitzende Marie Viethen oder für Helmut Thoma Junges Freiburg einfach zu spießig wäre. Keiner von uns hat ein Haus besetzt, wir haben kein Marihuana genommen und begannen direkt nach der Schule mit unserer Ausbildung.“

„Wir würden uns geehrt fühlen, wenn Coinneach und/oder Monika ihr Mandat zu Junges Freiburg tragen würden“, kommt Jost zum Schluss.

Junges Freiburg war eingeschränkt handlungsfähig

Junges-Freiburg-Stadtrat Florian Braune war Mitte Februar zu den Grünen gewechselt und hatte sein Mandat gekidnappt. Werden die Grünen ähnliche moralische Vorwürfe äußern wie damals Junges Freiburg, wenn jetzt Monika Stein und Coinneach McCabe zu Junges Freiburg wechseln? „Nein“, sagt der letzte verbliebene Junges-Freiburg-Stadtrat Sebastian Müller. „Die Grünen haben schon damals verstanden, dass sich nach außen hin nichts verändert. Beide [Stein & McCabe] würden in der Fraktionsgemeinschaft verbleiben und die Zusammenarbeit im Stadtrat verändert sich in keinster Weise. Wenn die Grünen jetzt nicht mal zehn Prozent ihrer Mandate an uns verlieren, wiegt das viel weniger schwer als unser damaliger 50-Prozent-Verlust. Und nicht mal wir waren lange beleidigt.“

Junges Freiburg – sowohl die Wählervereinigung als auch Stadtrat Müller – bestehen darauf, dass es nur gerecht ist, Überlaufmandat gegen ebenso viele Überlaufmandate zu tauschen. „Wir hatten seit Florian Braunes Weggang nur die Hälfte an Schlagkraft und konnten viele konstruktive Junges-Freiburg-Projekte noch nicht durchsetzen.“

Zu diesen Plänen, die bei Junges Freiburg aus Personalmangel derzeit auf Eis liegen, zählen die Herabsetzung des Mindestalters für das passive Wahlrecht an der Oberbürgermeisterwahl auf 16 Jahre, Ortsteilbürgermeister für Wagenburgen in der Freiburger Demarkation und die Einführung eines kostenlosen Fahrradsharings für alle Schüler an Freiburgs Schulen.

Im Rückblick wirkt die Fantasie noch viel plausibler als damals. Monika Stein und Coinneach McCabe, die in den Aprilscherz eingeweiht waren, waren sich schon damals mit ihrer Partei nicht mehr ganz grün und die Differenzen mündeten kurze Zeit später in ihrer tatsächlichen Abspaltung aus der Fraktion und in der Gründung der Grünen Alternativen Liste Freiburg. Bis heute streiten sich die beiden Gruppierungen vor Gericht, wer grüner sei.

Aus der Redaktion der «Badischen Zeitung» kam als Antwort auf die Pressemitteilung eine E-Mail: „Nice try.“


April, April:

4 Kommentare

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4 Antworten zu “Gefangenenaustausch

  1. Reblogged this on Orangenfalter and commented:

    1. April 2008: Mit einem feinen Gespür für Awkwardness legt die Wählervereinigung Junges Freiburg den Finger in die grüne Wunde. Zwei Stadträte aus der Fraktionsgemeinschaft sind unzufrieden mit ihren Kollegen. In einer Pressemitteilung, die als Aprilscherz gedacht ist, fordern Junges Freiburg und Monika Stein & Coinneach McCabe den Übertritt der beiden Grünen im Austausch gegen Ex-JF-Stadtrat Florian Braune. Kurze Zeit später verlassen Stein & McCabe tatsächlich ihre Fraktion … und gründen die Grünen Alternativen Freiburg.

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  2. Ja das war damals eine geile Aktion von dir. Schade es heute sowas kaum noch gibt. Das Zeitalter der Liverocker ist halt vorbei, jetzt gibt es nur noch Playback

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  3. Pingback: Lassen Sie mich kurz persönlich werden | martinJost.eu

  4. Ganz vergessen: fudder.de hat damals nachgefragt und einen Bericht gebracht.

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